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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg
Autoren: Jörg Juretzka
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näherte sich per Auto, nahm es wahr.
    Ohne groß zu überlegen, hechtete ich zu dem Wrack des Audi, riss die Beifahrertüre auf, kauerte mich hinein in das sitzlose, feucht-gammelige Innere und fing die zuschwingende Türe ab, bevor sie ins Schloss fallen konnte.
    Das Auto kam herangeschnurrt und stoppte vor dem Bunker.
    Vorsichtig kurbelte ich die blinde Seitenscheibe ein Stück herunter. Ein sehr privates Gefühl ließ mich schlucken. Es war der lila Honda.
    Deliah stieg aus, und plötzlich begriff ich auch ihren Kurzhaarschnitt: Eine HJ-Frisur mit geschorenen Schläfen und längerem Haupthaar lässt sich von heute auf morgen nicht durch Nachwachsen egalisieren. Also bringt man den ganzen verräterischen Kopfputz durch Kurzschneiden auf unverdächtiges Bubikopf-Format.
    Nagold war ihrem Beispiel mittlerweile gefolgt, wie ich feststellen durfte. Nur Roth-Bichler, der sich, schwarze Aktentasche fest unter den Arm geklemmt, als Dritter aus dem Wagen schälte, stand weiterhin zu seiner schuppigen Haarpracht.
    Nagold sah sich hastig um, nickte dann, offensichtlich beruhigt, ging hin, schloss und schwenkte die Stahltür auf.
    »Mein Gott«, entfuhr es ihm, »seid ihr schon wieder dabei?« Mit erhobener Hand bremste er den treulosen Rechtsverdreher, wartete einen Moment, nickte dann sein Einverständnis, und alle drei verschwanden im Bunker.
    Der Schlüssel, fiel mir auf, steckte von außen.
    Was tun? Sie alle einschließen? Mit Willy zusammen? Und dann?
    Und dann sehen wir weiter, dachte ich und machte mich sprungbereit, da flog die Stahltür schon wieder auf, Nagold kam rücklings heraus, Aktentasche in der Hand, trat nach jemandem, der ihm folgen wollte, warf die Türe zu, stemmte sich mit der Schulter dagegen, ließ die Tasche fallen, um die Hand zum Abschließen frei zu haben. Einen Moment stand er schwer atmend da. Blickte, seltsam blicklos, in meine Richtung. Wappnete sich für etwas. Sah sich dann noch mal um, nickte sich selber zu wie zur Bekräftigung eines stumm gefassten Entschlusses, kam auf mich zu, folgte dann der Rundung des Bunkers, Augen jetzt hoch, suchend, hielt an, drehte mir den Rücken zu, um sich auf die Zehenspitzen zu stellen und nach etwas in einem der Sehschlitze des Bunkers zu greifen. Nach einem Faden, wie es aussah.
    Ja, ein Nylonfaden, anscheinend. Er bekam ihn mit den Fingern zu packen, zog ihn vorsichtig ein Stück heraus, wickelte ihn sich um die rechte Hand, atmete stoßweise wie ein Mann unter enormem Stress. Drehte den Kopf ein wenig zur Seite, Augen zusammengekniffen, als erwarte er jeden Moment einen Knall, hob den Arm zu einem Ruck - »Beide Hände hoch in die Luft«, sagte ich in sein Ohr, »oder ich drücke ab!«
    Er erstarrte. Hände in der Luft. Aus dem Nichts tauchte Lazio Cinosils Vermummter neben mir auf.
    Gelähmt vor Anspannung, unfähig zu sprechen, deutete ich mit Kinn, Brauen, Nase nach dem Nylonfaden um Nagolds Rechte.
    Der Vermummte griff mit zwei bändchenbehangenen, sonnengebräunten Händen hoch und löste die Verknotung, sachte und schnell zugleich. Noch im Herabsenken seiner Hände drehte er Nagold den Arm auf den Rücken, dass es den bäumte. Geschickte Finger, die hat er, der Albert. Vielseitig talentiert scheint er auch zu sein, für einen Buchhalter.
    Mit einem kurzen Aufatmen nahm ich die leere Flasche von Nagolds Nacken und besah mir gedankenverloren das Etikett.
    Amselfelder, so was auch.
    Nur für ein Sekündchen lehnte ich mich gegen die Bunkerwand und war für ein Mal dankbar für Heikos Griff in mein Genick. Hatten mir kurz die Knie nachgegeben? Ach was.
    »Das wurde aber auch Zeit!«, keifte Dr. Roth-Bichler. »Ich habe keinen Sinn für solche Scherze!« Dann erkannte er mich, und man konnte zusehen, wie ihm die Zornesröte in die Socken fiel.
    »Du!«, hauchte Deliah und wusste nichts mehr zu sagen.
    Willy hockte in Unterhemd und ausgeleierter Unterhose auf einem Feldbett und griente mich an.
    »Ist das nicht mein Sakko?«, fragte er, als allererstes, was mich in momentane Verwirrung stürzte. Neben ihm auf dem Lager saß der rotwangige Ironhead-Rekrut, von dem ich nur die Zahl kannte - Zweiundzwanzig? - und blickte unglücklich drein. Ich bedeutete allen, sich nicht zu rühren.
    Meine Augen suchten den Raum ab und blieben dann an einer hohen, schmalen Transportkiste hängen. Oben, aus dem Deckel, schlängelte sich ein dünner, durchsichtiger Faden heraus zu einem Schlitz in der Wand und verschwand nach draußen.
    Mein Herz hämmerte mir das Blut
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