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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg
Autoren: Jörg Juretzka
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entspannte sich, ja, er machte sich sogar auf, magisch angezogen von dem Flaschenregal hinter der Bar, doch mir ging nach wie vor der Arsch auf Grundeis, wie man bei uns sagt, und ich schwenkte die Schrot weiterhin, so drohend es nur ging, hin und her.
    »Nun zu uns«, sagte Heiko, an Wolf gewandt, und Scuzzi stolperte über ein Bruchstück des Barhockers, fiel gegen den Tresen und feuerte eine Schrotladung in die Decke.
    Sämtliche Lichter verlöschten mit einem Schlag.
    Sofort scharrten und trappelten zahlreiche Füße und ich wusste, das war mein Ende. In der Dunkelheit, ohne zu wissen, wen ich vor mir, wen ich um ich hatte, war mir das Gewehr in meinen Händen ungefähr so nützlich wie ein Abflusstümpel. Ich war tot, und das Gefühl war entsetzlich.
    Doch dann schlug eine Türe, dann noch eine, und nach nur vielleicht einer halben Minute verebbte das Trappeln, und eine eigentümliche Stille senkte sich über den Raum. Es musste wohl noch einen Hinterausgang geben. Und durch den waren sie geflohen. Anstatt uns im Dunkeln zu entwaffnen und anschließend zur allgemeinen Erbauung hinter einem BMW-Gespann her zu Tode zu schleifen.
    Ich begriff es nicht, ich begriff es nicht. Es war, tja, es war unbegreiflich. Gerade noch tot gewesen, wallte es nun in mir auf, und ein innerer Konflikt begann zu toben, ob ich jetzt lachen oder weinen sollte, mir war danach, die Stirn gegen die Wand zu schlagen, alle sieben Patronen in die Luft zu ballern, ich hätte am liebsten...
    »Geht vielleicht mal einer von euch Vollidioten hin und macht ein FENSTER AUF!«, schnarrte Charly und ich riss mich zusammen. »Ich seh nämlich nichts im Dunkeln.«
    Und dann setzte die ernüchternde Erkenntnis ein, dass die gesamte Bande jetzt draußen auf uns lauerte. Sogar Verstärkung könnten sie noch holen.
    Ich ging hin und machte auf. Trübes Licht fiel herein und erst auf Scuzzi, der kalkbemehlt dastand und mit betretenem Gesicht hochsah in ein klosettdeckelgroßes Loch in der Decke über ihm, und dann auf Heiko und auf Wolf, der immer noch am Tisch saß, mit dem Fuß, auf den ihm der Baum gefallen war, in einem dicken Gipsverband. Und dem einen Ende von Heikos Holzknüppel in der kleinen Höhlung, wo sich die beiden Schlüsselbeine treffen, kurz bevor die Gurgel hinter dem Brustbein verschwindet. Heiko hielt den Knüppel mit beiden Händen, stützte sich regelrecht darauf, und dicke Schweißperlen bildeten sich auf Wolfs Stirn. Er sah starr hoch in die Augen seines Kontrahenten, und ich ahnte, was in ihm vorging. Wenn Albträume wahr werden ...
    »Fünf Jahre«, sagte Heiko mit Gefühl.
    »Warte«, mischte ich mich ein, nicht so sehr aus Menschlichkeit als aus pragmatischen Gründen, »lass mich erst mal was fragen.« Wir dödelten hier herum, und inzwischen musste jemand mal die Dollarnoten ins Licht gehalten haben.
    Heiko sah mich genervt an, signalisierte dann aber sein Einverständnis, und ich beugte mich über Wolf und fragte: »Wo habt ihr unsern Willy versteckt?« Eine niedliche Frage. Eigentlich. Als wären wir Kinder und das alles nur ein Spiel.
    Wolf explodierte. Völlig unvermittelt schlug er Heiko praktisch den Knüppel aus der Hand, kam halb aus seinem Sitz geschossen und brüllte, spuckend vor Wut: »Ja wirst du mich wohl endlich mal in Ruhe lassen mit deinem gottverdammten Willy?«, bevor Heiko ihn wieder zurückstieß.
    Falscher Ansatz, kritisierte ich mich selbst. Ich formulierte um.
    »Wo finde ich Nagold?« Jetzt blieb er sitzen und sah überrascht drein.
    »Nagold?« fragte er zurück. »Unser Nagold? Du meinst. du willst damit sagen .«
    Plötzliches Begreifen ließ den Blick seines in Braun und Grün geteilten Augenpaares flackern. Plötzliches Begreifen von etwas, das ihm schon länger, vielleicht unoder nur halb bewusst, Rätsel aufgegeben hatte. Und plötzliches Begreifen, dass sich ihm hier eine Chance auftat.
    »Was kriege ich, wenn ich euch das sage?«
    Ich wäre jetzt bereit gewesen zu verhandeln, doch Heiko grunzte nur.
    »Frag lieber, was du kriegst, wenn du es uns nicht sagst«, knurrte er und brach kurzerhand das Barhockerbein über seinem Knie in zwei Stücke. In ein kurzes, dickes und ein längeres, schmaleres. Beide mit einem langen, scharfen Zacken an der Bruchstelle. Zwei Stücke Holz, zu kaum etwas mehr nütze außer als, sagen wir, Feuerholz, doch in diesen Händen verwandelten sie sich fast zwangsläufig in ein Paar potentieller Folter- oder Tötungsinstrumente. Wolf beäugte sie mit entsprechendem
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