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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
Autoren: Robert Merle
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gewachsen sein und nicht in den Porcherons, das taugte für sie nichts. Und beim Fisch prüfte sie argwöhnisch, ob er nicht alt war.
    »Frisch sollen deine Makrelen sein! Wenn ich bloß das Auge seh, weiß ich Bescheid. Beim Teufel, Weib, hältst du mich für eine dumme Trine? Die kannst du zehnmal am Tag mit Salzwasser begießen, die sind nicht frischer als dein Arsch!«
    Und wagte das Fischweib ein Widerwort, kam Pissebœuf oder Poussevent, packte mit beiden Händen den Tischrand ihres Standes, als ob er ihn umkippen wollte, und sagte, das eine Auge halb zugekniffen, mit schleppender Stimme: »Gevatte rin , solltet Ihr zufällig schlecht erzogen sein?«
    Hatte Mariette gute Ware gefunden, dann feilschte sie um den Preis, daß die Händler verzweifeln mußten, und hatte sie sich endlich auf einen Preis geeinigt, ließ sie kein Auge von Ware, Gewicht und Waage. Und bestätigte sich auch nur ihr geringster Verdacht, überschüttete sie den Übeltäter mit einem Schwall von Beschimpfungen, daß ihm das Blut stockte.
    Wer wollte glauben, daß diese barsche Auvergnatin, die auf dem Marché Neuf so starke Worte führte, daheim zu meinemVater so höflich war, so zärtlich zu ihrem Mann, so freundlich zu den Kammerfrauen und zu mir so liebreich? Sowie ich abgestillt war, trat sie an Gretas Stelle, übernahm, was mich betraf, das Amt von Cabochon und labte mich mit Brühe, weichgekochtem Ei und kleingeschnittenem Lammfleisch, fütterte mich vom kleinen Löffel mit süßer Sahne und Kompott, und alles mit einer Engelsgeduld, mit gütigem Lächeln und süßen Flüsterworten.
    Greta hatte sich zwar ein bißchen entrüstet, daß sie so beiseite geschoben wurde, aber mein Vater entschied mit herrschaftlichem Spruch: »Wer Milch hat, gibt die Milch. Wer Braten macht, gibt den Braten.« Greta oblag es aber weiterhin, mich zu wecken, zu waschen, anzukleiden, und sie wohnte auch meinen Mahlzeiten bei, während der meine beiden Ammen, auch wenn sie mich ständig im Auge behielten, ihren Zungen freien Lauf ließen.
    Im Kokon dieser weiblichen Wärme wuchs ich schnell an Körper und Geist, frei im Wort, die Ohren offen und die Augen überall. Von der Herzogin von Guise, die ihr Patenkind zweibis dreimal die Woche, manchmal auch öfter, besuchen kam, sprachen meine beiden Klatschbasen häufig, stets wohlwollend zwar, aber mit Blicken, Betonungen und Zurückhaltungen, die mir unverständlich waren. Die eine bügelte, die andere nähte, ich saß vor ihren weiten Röcken an einem niedrigen Tischchen, einen Löffel in der Hand und stopfte mich, aber den Kopf hielt ich oben und das Ohr gespannt. Wie schön ich meine Ammen fand! Und wie gerne ich sie abküßte, mit ihnen schmuste und mich von ihnen wie wild liebkosen ließ! Doch wie fremd und unklar blieb mir dabei die Welt ihrer Reden!
    Ist es nicht merkwürdig, welche Mühe ich habe, in das Dunkel meiner Kindheit hinabzutauchen, so daß ich nicht einmal genau sagen kann, in welchem Alter ich zu begreifen begann, noch wie viele Monate es dann dauerte, bis mir die Worte meiner Ammen ganz verständlich wurden?
    Als erste erweckte Mariette eines Tages meine Aufmerksamkeit, als sie sich darüber verwunderte, daß die Herzogin seit acht Tagen nicht zu uns gekommen war, obwohl sie doch, wie sie sagte, »so närrisch nach dem da« war. Nun, soviel wußte ich schon: mit »dem da« – ein Ausdruck, den die beiden oft gebrauchten – war ich gemeint. Und es erstaunte michsehr, daß meine beiden Gevatterinnen mich für so dumm hielten, daß ich dies nicht längst begriffen hatte.
    »Vielleicht ist die Herzogin leidend«, sagte Greta, »oder sie pesucht ihren Sohn in Reims.«
    »Diesen Hohlkopf! Dieses Herzöglein ohne Nase, was nichts wie Schulden macht! Weißt du, Greta, daß dieses Faultier, wenn er, wie er schon groß war und mit den Damen der Herzogin schlief, lieber ins Bett geschissen hat als aufzustehen und sich auf seinen Kackstuhl zu setzen?«
    »Meine Liepe, meine Liepe!« sagte Greta, »kleine Ohren können dich hören.«
    »Aber, nun erkläre mir einer, meine Gute, wie das menschenmöglich ist, daß bei einer so guten und hübschen Mutter wie der Herzogin und einem Vater, der ja, ehe er in Blois ermordet wurde, doch der schönste Mann gewesen ist, so eine Hofschranze herauskommen kann, noch dazu mit einem Dünkel, daß er auf jedermann heruntersieht.«
    »Kewiß ist der nicht den kleinen Finger von tem da wert.«
    »Na ja«, sagte Mariette, »gute Milch, gute Katz, das steht mal
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