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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
Autoren: Robert Merle
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Hirn! Diese blutrünstige Marionette, die man so geschickt an den Fäden gelenkt hatte! Ich sah ihn wieder vor mir, seine brandroten Haare, sein grünes, flämisches Wams, seinen starren Blick und, was keiner erkannt hatte: das Messer, das an seiner Wade klemmte. Gleichzeitig erhob sich in meinem Sinn in qualvoller Wiederholung immer dieselbe reißende und überflüssige Klage: hätte Henri doch auf La Force gehört und eingewilligt, daß man diesen Wirrkopf festsetzte! Oder hätte Dalbavie ihn wirklich von Kopf bis Fuß abgetastet und nicht bei den Knien aufgehört!
    Nach allem, was durch die dicken Mauern des Louvre zu uns drang, beweinte das Volk Henri einmütig. Vergebens hatte man gegen ihn gezetert, gegeifert und ihn verleumdet. Daß er in den letzten Monaten unbeliebt gewesen war, und das nicht ohne Grund – es war vergessen. Die Edikte, die Steuern, die Münzabwertung, der Skandal seines Privatlebens, alles war vergeben. Frankreich fühlte sich verwaist ohne diesen großen König, der einem halben Jahrhundert der Bürgerkriege ein Ende gesetzt und Hugenotten und Katholiken in die Grenzen der Vernunft verwiesen hatte.
    Mir war heiß, ich warf die Decke ab, drehte und wendete mich auf meinem Lager; ich konnte den armen Héroard auf dem seinen sich wälzen hören und sein unterdrücktes Stöhnen und Seufzen. Aber daß wir alle Kummer und Ängste hegten, er, ich, Henris Getreue und das Volk, es war doch ein sehr ohnmächtiger Trost. Im Gemach der Königin hatte ich sehen können, wie munter die neuen Herren sich in die Rollen teiltenund wieviel Befriedigung ihre scheinheilige Trauer verriet. Alles, was mein Vater mir gesagt und was ich mit eigenen Augen gesehen hatte, bestätigte mir: die Macht fiel jetzt in sehr befremdliche Hände!
    Wieder sah ich die Szene, die mir von Anfang bis Ende so falsch erschienen war: wie die Königin die Hände rang und schrie: »Der König ist tot! Der König ist tot!«, ohne jeden echten Schmerz in den Augen. Und jetzt war diese Trutschel die absolute Herrscherin über ein Volk, das sie nicht liebte; Concini, stumm in seiner Fensternische, aber die Augen blitzend vor Raffgier; Épernon, der kleine Mann ohne Herz und ohne Gewissen, der sich schon als Konnetabel sah. Und die beiden Greise, die an nichts weiter dachten, als auf den Privilegien ihrer Ämter zu glucken. Was für mittelmäßige und kleine Leute sie doch waren, die nur spanisch atmen, denken, sprechen und beten konnten! Wo bliebe bei ihnen der Sinn für die großen Interessen des Reiches?
    So unwichtig ich selbst in dieser Katastrophe war, kam mir gleichwohl der untröstliche Gedanke, daß es nun vorbei war mit dem Dolmetsch des Königs: eine Aufgabe, die dem Adel, hätte er davon gewußt, verächtlich erschienen wäre, aber um wieviel reifer und reicher hatte sie mich gemacht, auch weil ich im stillen einen unendlichen Stolz daraus bezog, daß Henri mir, so jung ich war, Absichten und Zwecke mitteilte, die er seinen Ministern verbarg. Aus war es mit dieser begeisternden Rolle! Gewiß mangelte es mir weder an Liebe noch an Willen, Louis zu dienen, wie ich seinem Vater gedient hatte. Aber dürfte ich es? Erhielte ich dazu auch nur die Gelegenheit? Ließe man mich überhaupt noch in seine Nähe?
    Sowie ich hörte, daß Héroard aus dem Bett stieg, erhob auch ich mich und kleidete mich an, ohne daß einer von uns einen Ton sagte, so sehr fühlten wir beide uns von einem Kummer erdrückt, der alle Worte überstieg. Aber kurz bevor wir die Gemächer des Dauphins betraten, faßte Héroard meinen Arm und drückte ihn heftig. Und ich verstand, was diese Geste mir bedeuten sollte. Wie viele von Henris Freunden würden in den kommenden Monaten Fremde für Louis werden, diesen armen kleinen König ohne Zepter, der so wenig geliebt wurde von der, die es führte?
    Ohne daß wir das leiseste Geräusch gemacht hätten, erwachteLouis bei unserem Eintritt. Blaß, die Augen niedergeschlagen und umnebelt, sah er zunächst niemanden, nicht einmal seine Amme Doundoun, die man herbeigerufen hatte, damit er ein weibliches Wesen bei sich habe, und die neben seinem Bett schlief. Er setzte sich auf, ließ den Kopf hängen und verharrte eine ganze Weile so gedankenverloren.
    »Woran denkt Ihr?« fragte die Amme, die sich noch nicht daran gewöhnt hatte, zu ihrem einstigen Säugling »Sire« zu sagen.
    »Ich habe so gedacht«, sagte Louis.
    »Und woran habt Ihr gedacht?«
    »Ich dachte, wie gerne ich wollte, daß der König mein Vater noch zwanzig
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