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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
Autoren: Robert Merle
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der ihn begleitenden Jesuiten, aber ich fand unter ihnen weder den Pater Gontier, der hatte durchblicken lassen, daß Gott aufhören könnte, den König am Leben zu erhalten, wenn er seine Politik nicht ändere, noch den Pater Hardy, der noch unverhohlener gedroht hatte, »es genüge ein Bauer, und der König ist matt«.
    Dem Rat von Monsieur de Souvré gemäß, gab Louis ihrer Forderung statt, und neugierig folgte ich ihnen in das Gemach des Königs, wo der erste Leibarzt Milon ihnen das königliche Herz überreichte, das er der Leiche soeben entnommen hatte. Pater Cotton legte es in eine Urne aus Blei und diese in ein silbernes Reliquiar in der Form eines Herzens. Doch es bedurfte einer Persönlichkeit von Geblüt, um mit dem Pater Cotton die letzten Gebete zu sprechen, bevor man das Reliquiar davontrug. Da man Louis nicht um diesen Dienst zu bitten wagte, hatte man den einzigen königlichen Prinzen herbeigeholt, den es noch in Paris gab: den Prinzen von Conti, der zwar schwer hörte und noch weniger verstand, um was es ging, der aber unter dem Eindruck der Soutane und der ernsten Miene des Paters Cotton alles tat, was man von ihm verlangte. Kniend an der Seite des Paters Cotton sprach er vor dem Reliquiar die Gebete, die man anzeigte, indem man ihm deren erste Worte in die Ohren schrie. Nach einer Weile verkürzte Pater Cotton die Zeremonie: sie dauerte zu lange, weil der Prinz von Conti zu sehr stotterte.
    Damit waren die Patres nicht am Ende ihrer Mühen. Das Herz mußte mit einem Zug von zwölf Karossen einen sehr weiten Weg nach La Flèche gebracht werden, mitten durch ein Volk, das ihrer Gesellschaft nun aufs neue feindselig gegenüberstand, denn die Menschen hatten nicht Tränen genug, Henri zu beweinen.
    Auf die Bitte von Monsieur de Souvré schlief ich wiederum im Louvre; er hoffte, daß meine Gegenwart am nächsten Morgen Louis von seinem Schmerz ablenken werde, der um so heftiger war, als er ihn stumm und bleich in sich verschloß. Vorher schickte ich einen Pagen zu Madame de Guise, welche die Gemächer der Königin nicht mehr verließ, mit der Bitte, sie möge meinen Vater unterrichten lassen, wo ich mich aufhielt. Ich weiß nicht, wie sie es bewerkstelligte, doch als ich eine Stunde darauf in Héroards Zimmer kam, stand da der Marquis de Siorac und wartete auf mich mit von Tränen gezeichnetem Gesicht. Ich fiel ihm weinend in die Arme, halb vor Glück, daß ich meinen geliebten Vater noch hatte, halb vor Trauer, daß Louis um den seinen gebracht war.
    Mein Vater hielt mich lange umarmt und sagte leise: »Alles wird jetzt anders. Seid sehr auf der Hut. Wägt jedes Eurer Worte, Eure Blicke sogar. Madame de Guise wird Euch beschützen, aber dieser Schutz bedürfte selbst der Führung, so unbesonnen ist Eure liebe Patin in allem.«
    Ich schlief wenig und schlecht, und an dem Stöhnen und Wälzen, das von Héroards Lager zu vernehmen war, erkannte ich, daß den guten Doktor, der mit dem aufrichtigsten Eifer an Louis hing, eine tödliche Angst davor umtrieb, daß die Regentin ihn aus Feindseligkeit gegen seine Religion von dem jungen König entfernen und ihn durch einen rechtdenkenden, jedenfalls aber weniger ergebenen Arzt ersetzen könnte.
    Da Héroard mir am folgenden Tag ein Wort darüber sagte, teilte ich meinem Vater später seine Befürchtungen mit. »Es wäre ein Verbrechen an dem jungen König«, sagte er traurig. »Aber vom Stumpfsinn steht alles zu erwarten, noch dazu, wenn er allmächtig ist.«
    Warum sollte ich mich schämen, einzugestehen, daß diese Nacht, ebenso wie die vorige, die auf die Ermordung meines so geliebten Königs folgte, über Alpträumen und Tränen hinging. Obwohl ich bei der Bluttat nicht zugegen war, hatte derBericht von La Force in seiner schrecklichen Knappheit sie mir gegenwärtig gemacht. »Ravaillac«, hatte La Force gesagt, »stach auf den König ein wie in ein Bund Heu.« Dieser Satz kehrte unaufhörlich in meinen Träumen und in meinem Halbschlaf wieder, und es war seltsam, die Wiederholungen milderten das Entsetzen nicht, ganz im Gegenteil! Jedesmal war es, als empfinge ich selbst das Messer: es stach mich bis in die Eingeweide! Und sogleich sah ich, über mich gebeugt, den rothaarigen Riesen mit seinen unerträglichen blauen Augen. Welch verworfenes Instrument hatte ein so schönes Leben beendet! Dieser Narr, der nur aus Haß bestand! Dieser Überspannte, der die Geheimnisse der Vorsehung zu ergründen wähnte! Dieses arme, schwache, verstörte und fanatisierte
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