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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
Autoren: Robert Merle
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Henri: »Mein Freund, das ist alles vorbei.« Aber was war vorbei? Das Glück des Friedens? Oder das Leben? Für uns, die wir nach dem Ereignis darüber befinden, ist dieser Satz prophetisch. Aber wie könnten wir behaupten, daß er es für denjenigen war, der ihn sprach? Gewiß wirkte er am Nachmittag dieses vierzehnten Mai übererregt und ruhelos, aber wer wäre es nicht gewesen, der sich anschickte, alles auf eine Karte zu setzen: sein Reich, seinen Thron, seine Dynastie, sein Leben?
    »Vor allen Schlachten, die er um seinen Thron zu bestehen hatte«, sagte mein Vater, »habe ich ihn fiebern sehen. Die völlige Unsicherheit seiner Situation im Sinn, die immer mögliche Niederlage und den Tod, sprach er und sprach. Jeder andere hätte diese Ängste hinter einer undurchdringlichen Maske verborgen, aber Henri war ein reger, empfindsamer, überschwenglicher Gascogner, reich an Einbildungskraft, immer zum Lachen geneigt und auch zu Tränen, zum Scherzen aufgelegt, aber ebenso leicht dramatisch. Und vor allem verhehlte er nichts. Da er vor jedem Kampf Durchfall bekam, machte er sich lauthals darüber lustig. Wenn er sich in die Büsche schlug, schrie er in die Gegend: Denen scheiß ich was! Danach war alle Schwäche vergessen, und er kämpfte wie ein Löwe.«
    Auch La Surie sagte dazu sein Wort: »Man darf doch nicht vergessen, daß Henri in der Schwermut zur Übertreibungneigte. Erinnert Euch, wie er nach dem Tod von Heinrich III., als ein gut Teil der königlichen Truppen ihn im Stich ließ, sagte: ›Ich bin ein General ohne Heer, ein König ohne Krone und ein Mann ohne Frau.‹ Schwärzer konnte man nicht sehen! Aber er hatte ja noch ein Heer, klein, gewiß, aber glühend, tapfer, kriegsgewohnt ...«
    »Und unbesiegt«, sagte mein Vater.
    »Und wenn er ohne Krone war«, fuhr La Surie fort, »so doch nur, weil in Paris die Liga saß, aber das Gesetz war auf seiner Seite, sowohl vom Blut her wie dadurch, daß Heinrich III. ihn auf seinem Totenbett feierlich anerkannt hatte. Und mochte er auch ohne Gattin sein, so war er doch nie ohne Weib, da er mitten im Kriege auf Teufel komm raus von der hohen Dame zur Müllerin preschte und von der Müllerin zur Nonne.«
    Nun, wie immer dem sei, nach jenem fröhlichen Lanzenbrechen der derben Späße bat Madame de Guise den König, ihr Urlaub zu geben, weil sie in einer Gerichtssache vorzusprechen hatte, und er gewährte ihn ihr mit Bedauern, während er mich noch bei sich behielt. Da er aber mit mir nichts anzufangen wußte, erklärte er nach kurzem, er wolle ein wenig schlummern, umarmte mich und empfahl mir, den Dauphin zu besuchen. Er ging in seinem hurtigen Schritt, den Kopf gebeugt, davon. Es war das letztemal, daß ich ihn lebend sah.
    Der Dauphin, der soeben von seiner Zeichenstunde kam, wollte, daß ich mit ihm, mit Monsieur de Souvré und dem Doktor Héroard ausführe, um die Triumphbögen zu sehen, welche die Zimmerleute in der Stadt für den Einzug der Königin errichteten. Diese Bögen, hieß es, seien sehr kunstreich und würden von den Gärtnern mit Grün und Blumen geschmückt. Der Kutscher fuhr uns über die Rue des Poullies, bog dann nach rechts in die Rue Saint-Honoré ein und weiter zur Kreuzung du Tiroy. Ohne es zu wissen, nahmen wir denselben Weg, den wenige Minuten zuvor die Karosse des Königs eingeschlagen hatte. Welche Stunde es war, wüßte ich nicht zu sagen, weil ich meine Uhr nicht bei mir hatte. Und hätte ich sie bei mir gehabt, hätte ich es in Gegenwart des Dauphin niemals gewagt, sie zu ziehen.
    Unsere Karosse kam wegen des starken Verkehrs von Gefährten um diese Zeit nur langsam voran, aber auch wegen der vielen Leute auf den Straßen, welche die Triumphbögenanschauten. Drei waren es: einer auf der Rue des Poullies, einer auf der Rue Saint-Honoré und einer auf der Kreuzung du Tiroy. Diesen aber, welcher der größte war, hatten wir kaum zu bewundern die Muße, obwohl der Dauphin gebeten hatte, die Karosse halten zu lassen. Denn im selben Moment, da der Kutscher die Pferde zügelte, kam in höchster Eile ein Page in den Farben der Königin auf uns zu gestürzt. Doktor Héroard beugte sich hinaus, denn wegen der Hitze waren die Schirmleder zurückgeschlagen. Aber der Page, der seine Botschaft offenbar nicht laut verkünden wollte, setzte einen Fuß auf eine Radspeiche, worauf er sich zu dem Doktor hinaufschwang, der ihm sein Ohr zuneigte. Ich hörte nicht, was der Page ihm sagte, aber ich begriff, daß es etwas Ernstes war: Doktor Héroard
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