Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein
Autoren: David Schönherr
Vom Netzwerk:
müsse Ferdinand zum Bros geben.
    Hobrecht zuckte, drehte seinen Kopf der Magd zu, die gesprochen hatte. Dann nickte er und bat nach einem Moment der Stille alle hinaus.
    Er werde darüber nachdenken, der Vorschlag sei brauchbar.
    Im Gehen wurde sein Gesinde erneut redselig.
    Ferdinand benötige einen anderen, einen besseren Lehrer!
    Der Bros könne ihm sicher einiges beibringen!
    Eine solche Begabung, das müsse man unterstützen!
    Erst spät kam man Hobrechts Bitte nach, ihn allein zu lassen.
    * * *
    Zögerlich setzte der Pfarrer einen Brief an Ferdinands Onkel auf. Er schrieb, dass man den Jungen so bald wie möglich in die Lehre zum Meister Bros geben würde. Er selbst wollte sich persönlich dafür beim Meister einsetzen. Als Begründung berichtete Hobrecht über Ferdinands besonderes Talent, welches unverzüglich zu fördern sei, wenn man es nicht im Keim ersticken wolle.
    Die wesentlichen Gründe seiner Entscheidung behielt Hobrecht jedoch für sich. Denn seitdem Ferdinand bei ihm im Klassenzimmer saß, da geriet nicht nur der Unterricht des Pfarrers allmählich aus den Fugen – sein ganzes Leben schien in eine vollkommen falsche Richtung zu rutschen. Dieses Kind, Ferdinand, war nicht nur ein außergewöhnlicher Künstler, er war auch noch ordentlich, höflich und äußerst diszipliniert: Ferdinand Meerten war ein wahrer Musterschüler! Keines der anderen Kinder konnte mit seiner Aufmerksamkeit und Begabung mithalten – im Gegenteil: Dieses Wunderkind ließ durch sein begnadetes Können alle anderen nur durchschnittlich oder sogar schlecht aussehen und brachte letztlich Hobrecht in Verruf, nicht richtig unterrichten zu können – ja, ein einfacher Hochstapler zu sein.
    Brillante Fragen stellte der Junge, auf die nicht mal er als Lehrer eine Antwort wusste. Ferdinand fand Zusammenhänge und Erklärungen, die selbst für die Dümmsten der Klasse verständlich waren. Seine Stimme gab das Gelernte so wunderbar wieder, dass alle an seinen Lippen klebten, wenn er erzählte, anstatt Hobrechts Unterricht zu folgen. Um einen ordentlichen Lehrer zu verkörpern, da fehlte diesem Bengel ja nicht nur die nötige Erfahrung oder das passende Alter: Er war von Rechts wegen überhaupt nicht befugt, derart selbständig zu handeln – selbst wenn er offensichtlich die Fähigkeit dazu besaß!
    Der Pfarrer beobachtete mit täglich wachsendem Schrecken, wie selbstverständlich dieses Kind als Autorität anerkannt wurde – mehr noch: Hobrecht meinte sogar, dass ihm ehrfürchtige Blicke zugeworfen wurden.
    Einem Kind!
    Das ging zu weit!
    Als ob die Schule dazu da wäre, alles begreifen oder beherrschen zu müssen. In erster Linie hatten die Schüler ihm – dem zuständigen Lehrer – zu gehorchen! Schließlich ging es nicht um den Verstand, der geschult werden musste, sondern in erster Linie um die Vernunft, die in diese kindlichen Gemüter einziehen sollte!
    Hier musste umgehend gehandelt werden!
    Hinzu kam, dass sich mit der Zeit abermals eigenartige Vorfälle ereignet hatten, bei denen Ferdinand zugegen war – und die Hobrecht während des Schreibens zum Glück wieder ins Gedächtnis kamen: Ein Schüler hatte Tollkirschen gegessen und mehrere Stunden ohnmächtig hinter dem Kirchhof gelegen, eine Kuh hatte totgeboren, das Zugseil der Glocken war mehrmals hintereinander grundlos gerrissen. So etwas sprach sich unter den Schülern, Nachbarn und Kirchgängern natürlich herum – und Ferdinands Name war mehr als einmal gefallen, in eindeutigen Zusammenhängen: Denn von genau diesen Ereignissen kursierten hochwertige Zeichnungen, die fraglos durch Ferdinands Hand entstanden waren. Hobrecht tat ihm somit einen Gefallen, wenn er ihn vor weiterer Kritik in Schutz nahm.
    Zu guter Letzt hatten sich die wiederentdeckten Sorgen des Pfarrers in Windeseile vervielfältigt. Die juckende Narbe, harmlos und klein, war nun blutig gekratzt; das verdreckte Bett, eine einzige Zumutung – Hobrecht hatte seit Wochen kaum eine Nacht durchgeschlafen; das unvollendete Bild – nach wie vor unberührt.
    Das Elend anderer Menschen – die Menschheit überhaupt – all das ekelte Hobrecht mittlerweile so sehr, dass er persönliche Gespräche vollkommen ablehnte. Das erbärmliche Leben dieser gewöhnlichen Leute überhaupt wahrnehmen zu müssen, der bloße Gedanke daran stieß ihn ab – widerlich! Schon seine eigenen Mägde mochte Hobrecht nur noch ungern um sich haben.
    Ferdinand selbst war für den Pfarrer der Inbegriff der Ablehnung. Mittlerweile
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher