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Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Stephen Leather
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Gekreuzigter meine Arme seitlich ausgestreckt, wäre ich mit den Fingern an die Häuserwände gestoßen. Ich blickte nach oben. Die nicht enden wollenden Wände zogen sich so weit in die Höhe, dass sie sich erst Meilen weiter oben in der Luft zu treffen schienen. Den Himmel konnte ich nicht sehen, nicht einmal einen Streifen sternenbestückter Schwärze. Den Mond konnte ich auch nicht sehen, wusste aber, dass er irgendwo da oben war und wie ein hungriger Leopard lauerte. Irgendwo weiter vorn hörte ich etwas rascheln, aber ich konnte nichts erkennen. In der Ferne ertönte eine Sirene, und ich drehte mich um und blickte zurück, aber ich war so weit gelaufen, dass ich die Straßenlaternen nicht mehr sehen konnte.
    Da war es wieder, dieses Rascheln, als ob eine Ratte im Mülleimer herumwühlen würde. Der Boden war uneben und mit rostenden Dosen und Fastfood-Verpackungen übersät und hier und da waren schmutzige Pfützen. Ich ging langsam durch die Gasse, die Hände nach vorn ausgestreckt, denn ich hatte Angst, in irgendwas hineinzutappen, in etwas Kaltes, Klammes.Dann war etwas wie ratschender Stoff zu hören, den ungeduldige Hände zerrissen. Irgendwas schlug gegen meine Beine und umschlang sie wie ein bettelndes Kind. Ich sprang zurück, aber es blieb haften; ich versuchte es abzuschütteln, doch vergebens. Ich griff hinunter und meine Hände fühlten nasses Papier. Es war eine Zeitung, die der Mitternachtswind durch die Gasse gepustet hatte. Schaudernd zog ich das nasse Papier in Fetzen ab und zerknüllte es zu aufgeweichten Kugeln, die ich wegwarf.
    Ich hörte ein Schlürfen wie von einem saufenden Tier. Nein, nicht saufend, sondern schlabbernd. Wie eine Katze, die Milch von einer Untertasse schleckt. Schleck, schleck, schleck. Meine Hose war unterhalb der Knie feucht geworden, wo das Papier am Stoff klebte, und Wasser sickerte auf meine Knöchel herab. Ich bewegte mich auf das Geräusch zu, spähte in die Schwärze, erkannte aber nur die Abfalleimer und unordentlichen Bündel von Pappe, die auf die Müllabfuhr warteten. Hoch über mir hörte ich, wie ein Fenster sich quietschend öffnete und dann zuknallte, aber als ich aufblickte, war dort nichts, nur zwei nackte Wände.
    Vor mir konnte ich endlich eine Form ausmachen, einen grauen Klumpen auf dem Boden, wie ein Mann im Sitzen, die Beine ausgestreckt, in der Taille gekrümmt. Der Kopf hing schlaff auf der Brust, das Schlürfen kam aus seiner Kehle, als ob ihm das Atmen schwerfiel. Ich wollte etwas sagen, fragen, ob er okay war, ob er Hilfe brauchte, aber die Worte blieben mir im Hals stecken und ich ging näher heran. Dann erkannte ich, dass ich nicht eine Gestalt, sondern zwei vor mir hatte. Eine lag am Boden, die andere hockte über ihr, mit dem Rücken zu mir. Ich trat zur Seite und sah die Gestalt am Bodengenauer – ein Mann vermutlich, aber das war nicht sicher, denn sie war noch immer nur ein unförmiger Klumpen. Die Beine zeigten in meine Richtung, ein Arm war zur Seite gefallen, der andere wurde von irgendetwas verdeckt, das auf ihm hockte. Das Schlürfen wurde lauter. Es klang jetzt weniger nach einer schlabbernden Katze, mehr wie zwei Liebende, die sich küssen – weiche, nasse, flatschende und schluckende Geräusche, Fleisch auf Fleisch.
    Etwas in mir wollte aufschreien, wollte stoppen, was da auf dem Boden der Gasse geschah, aber auch ganz genau sehen, was hier vor sich ging. Im Näherkommen waren mehr Einzelheiten zu erkennen. Die Gestalt am Boden lag auf dem Rücken. Es war ein Mann, der einen dunklen Anzug und glänzende schwarze Schuhe trug. Die dunklen Socken hatten ein Muster aus weißen Dreiecken. An den Knien war die Hose eingerissen, als ob man ihn über den Boden geschleift hätte. Die Gestalt über seinem Hals trug eine glänzende Lederjacke mit hochgestelltem Kragen und Jeans, die blau und schwarz sein mochten, und Stiefel mit silbernen Spitzen. Die Absätze waren klar zu erkennen, denn die Gestalt kniete und beugte sich über den Mann im Anzug.
    Das Geschlabber endete abrupt, und die Schultern der knienden Gestalt versteiften sich, als hätte sie bemerkt, dass ich zusah. Der Kopf drehte sich langsam um. Ich versuchte wegzukommen, aber meine Füße schienen wie am Boden festgewachsen, als ob sie Wurzeln geschlagen hätten. Zuerst sah ich eine Wange, so weiß wie Alabaster, ein sanft geschwungener Bogen vom Auge bis zum Kinn, und dann einen Vorhang aus Haar, der sich bewegte. Das war alles, was ich erkennen konnte, alssich der Kopf
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