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Der weite Himmel: Roman (German Edition)

Der weite Himmel: Roman (German Edition)

Titel: Der weite Himmel: Roman (German Edition)
Autoren: Nora Roberts
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der heute zu Grabe getragen worden war. »Standen Sie sich nahe, Sie und Ihr. … Stiefvater?«
    »Niemand stand ihm sonderlich nah«, sagte Adam schlicht und ohne Bitterkeit. »Aber Sie fühlen sich hier nicht
besonders wohl, nicht wahr?« Ihm war aufgefallen, daß sie sich immer am Rand aufhielt, als ob schon die flüchtige Berührung einer Schulter sie verletzen könnte. Auch die blauen Flecke in ihrem Gesicht, Anzeichen von brutaler Mißhandlung, waren ihm nicht entgangen.
    »Ich kenne ja überhaupt niemanden hier.«
    Sie wirkte so verwundbar, dachte Adam. Schon immer hatte es ihn zu den Verwundbaren, Hilflosen dieser Welt hingezogen. Gekleidet in ein einfaches schwarzes Kostüm und schwarze Pumps, war sie nur unwesentlich kleiner als er und zu dünn für ihre Größe. Ihr dunkles Haar wies einen rötlichen Schimmer auf und fiel ihr in weichen Wellen über die Schultern. Ihre Augen konnte er hinter der Sonnenbrille nicht erkennen, aber ihn interessierte ihre Farbe und was er sonst noch darin lesen würde.
    Sie hatte das Kinn ihres Vaters geerbt, stellte er fest, ihr Mund jedoch war ziemlich klein und weich wie der eines Kindes. Als sie ihn scheu angelächelt hatte, war der Anflug eines Grübchens in ihrem Mundwinkel aufgetaucht. Ihre seidige Haut schimmerte so durchscheinend blaß, daß sich die Prellungen mit grausamer Deutlichkeit davon abhoben. Er fühlte, daß sie einsam war. Es würde ihn unter Umständen einige Zeit kosten, Willa für diese Frau, diese Schwester, zu interessieren.
    »Ich muß noch nach den Pferden schauen«, setzte er an.
    »Oh.« Zu ihrer eigenen Überraschung verspürte Lily eine leise Enttäuschung. Aber sie hatte ja schließlich allein sein wollen. Es ging ihr besser, wenn andere Menschen sie in Ruhe ließen. »Dann will ich Sie nicht aufhalten.«
    »Möchten Sie nicht mitkommen und sich die Ställe anschauen?«
    »Die Pferde? Ich …« Sei kein Feigling, befahl sie sich. Er wird dir nicht weh tun. »Gerne. Aber nur, wenn ich Ihnen nicht im Weg bin.«
    »Das sind Sie nicht.« Da er wußte, daß sie vor ihm zurückscheuen würde, bot er ihr weder seine Hand noch seinen Arm an. Er ging lediglich voran, die Treppe hinunter und quer über eine holperige, unbefestigte Straße.
     
    Einige Leute sahen die beiden zusammen weggehen, und unverzüglich setzten sich die Zungen in Bewegung. Immerhin war Lily Mercy eine von Jacks Töchtern, auch wenn sie kaum den Mund aufmachte – im Gegensatz zu Willa, die man gewiß nicht als schüchtern und zurückhaltend bezeichnen konnte. Dieses Mädchen sagte unverblümt seine Meinung, und zwar wann es wollte und zu wem es wollte.
    Was die dritte anging – nun, das war ein ganz anderes Kaliber. Ein eingebildetes Geschöpf, so, wie sie da in ihrem schicken Kostüm herumstolzierte und die Nase nicht hoch genug tragen konnte. Jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte sehen, daß sie ein eiskaltes Biest war. Völlig ungerührt hatte sie am Grab ihres Vaters gestanden und keine Miene verzogen. Zugegeben, sie war eine Augenweide. Jack Mercy hatte gutaussehende Töchter in die Welt gesetzt, und diese, die älteste, hatte seine Augen geerbt. Hart und kühl und blau.
    Offensichtlich hielt sich die Dame für etwas Besseres mit ihrem kalifornischen Schick und den teuren Schuhen, aber viele der Anwesenden erinnerten sich noch daran, daß ihre Ma ein Showgirl aus Las Vegas gewesen war, das oft und schallend gelacht und sich einer recht derben Ausdrucksweise bedient hatte. Diejenigen, die sich erinnerten, hatten bereits entschieden, daß ihnen die Mutter wesentlich lieber war als die Tochter.
    Tess Mercy kümmerte das herzlich wenig. Sie gedachte, nur so lange in dieser gottverlassenen Wildnis zu bleiben, bis das Testament verlesen worden war. Dann würde sie nehmen, was ihr zustand – und das war mit Sicherheit immer noch weniger, als der alte Bastard ihr schuldete –, und den Staub von ihren Ferragamos schütteln.
    »Ich bin spätestens am Montag zurück.«
    Den Telefonhörer ans Ohr gepreßt, marschierte sie mit energischen Schritten auf und ab. Eine Aura nervöser Energie umgab sie. In der Hoffnung, wenigstens ein paar Minuten ungestört zu bleiben, hatte sie die Türen dieses Raumes, der anscheinend als Arbeitszimmer diente, hinter sich geschlossen, aber nun fiel es ihr schwer, die zahlreichen Tierköpfe zu ignorieren, die die Wände bedeckten.
    »Das Skript ist fertig.« Lächelnd fuhr sie mit den Fingern durch ihr kinnlanges, glattes Haar. »Ja, es ist
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