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Der weiße Neger Wumbaba kehrt zurueck

Titel: Der weiße Neger Wumbaba kehrt zurueck
Autoren: Axel Hacke , Michael Sowa
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abfahren?‹
    ›Prien!‹, schrie ich. Das Gespräch begann, mich an gewisse Telefonate mit meiner Frau zu erinnern. Manchmal ruft Paola mich von ihrem Handy aus an, und die Verbindung ist schlecht, sie versteht mich nicht und ruft: ›Hallo, hörst du mich?‹
    ›Ja, ich höre dich.‹
    ›Hallo?‹
    ›Ja, ich bin hier, ich höre dich.‹
    ›Hallo? Hörst du mich denn nicht?‹
    ›Doch, ich höre dich gut? Hörst du mich denn nicht?‹
    ›Hallooooooo! Halloooooo!‹
    Das ist immer der Punkt, an dem ich wütend werde. ›Jetzt schreimich doch nicht so an!‹, schreie ich. ›Was kann ich denn für die schlechte Verbindung, es ist doch nicht meine Schuld, dass die Verbindung so schlecht ist!‹
    ›Halloooo!‹, schreit sie. ›Halliiiihalloooo!‹
    Sie schreit ja gar nicht mich an, sie schreit die Telefonverbindung an. Überhaupt schreit sie gern Dinge an, wenn sie nicht funktionieren, neulich hat sie unsere neue Freisprechanlage im Auto angeschrien, weil ich aus dem Lautsprecher nur ganz leise zu hören war. Sie nannte die Freisprechanlage ein ›solches Scheißteil‹, das ›auf den Müll‹ gehöre. Hinterher stellte sich dann heraus, dass sie den Lautstärkeregler der Freisprechanlage (es ist derselbe wie vom Radio) nahezu auf null gedreht hatte, aber da war die Freisprechanlage schon angeschrien, wahrscheinlich ist sie jetzt beleidigt auf ewig.
    Doch eine Telefonverbindung anzuschreien, das ist schon etwas Besonderes, das hat etwas geradezu Metaphysisches, denn eine Telefonverbindung ist ja nicht einmal ein Ding, es ist etwas völlig Ungreifbares, eventuell Göttliches, das man vielleicht nicht anschreien sollte .
    ›Halloooo!‹, schreit sie den Äther an. ›Halloooo!‹
    Dann legt sie auf.
    Na ja, so ist das manchmal bei uns.
    ›Prien‹, sage ich. ›Hauptbahnhof Prien am Chiemsee.‹
    ›Es tut mir leid, ich habe sie immer noch nicht verstanden‹, sagt das Sprachdialogsystem. ›Möglicherweise liegt es an der schlechten Verbindung.‹
    Wieder die Verbindung. Die Verbindung ist immer schuld. Aber das Dialogsystem war doch sehr höflich. Ob es schon verheiratet ist?«
    Wir lernen aus diesem Text: Keinen einzigen Phantasieort hat sich die Maschine einfallen lassen. Sie hat nur einen realen Ort ignoriert, Prien nämlich, und versucht, ihn durch Wiek, Wyk und viele andere zu ersetzen. Keinen einzigen hat sie durch Verhören neu geschaffen. Diese Fähigkeit hat nur der Mensch.
    Einen sehr schönen Ort finde ich zum Beispiel Ohrschinken, jedenfalls vom Klangbild her.
    Ich lernte Ohrschinken durch die Nachricht von Herrn H. aus Neubrandenburg kennen. H.s Tochter hatte vor vielen Jahren bei ihrer Großmutter Radio gehört und erkundigte sich dann, was Ohrschinken sei und warum es im Radio so oft erwähnt werde. Es dauerte Tage und einige Nachrichtensendungen, bis die Großmutter herausfand, worum es ging: Im Rundfunk sagte nämlich damals der Sprecher sehr oft: »Ohrschinken. Präsident Ronald Reagan hat in einer Rede…«
    Ohrschinken (oder »Worschtschinken«, wie Herr P. verstand, der in Mannheim aufwuchs) ist also die Hauptstadt des reichen und mächtigen Landes »Hohes A«, das ebenfalls immer wieder in Radionachrichten auftauchte, und zwar in der Phantasie von Herrn I. aus Hamburg, als er noch klein war. So schrieb er es mir jedenfalls. »Hohes A. Präsident Ronald Reagan hat im Weißen Haus in Ohrschinken…«
    Aus Stuhr bei Bremen schrieb Herr S., sein fünfjähriger Enkel Jonas habe Udo Jürgens’ Zeilen »Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals auf Hawaii« so interpretiert:
    » Ich war noch niemals in Majork,
    ich war noch niemals im Geweih.«
    Welche kindliche Sehnsucht spricht aus diesen Worten! Und wer wird Jonas die bittere Wahrheit sagen: nicht nur, dass Udo Jürgensniemals in Majork war, sondern dass er auch niemals dort sein wird, weil es Majork nicht gibt. Und was bedeutet es für die menschliche Existenz überhaupt, wenn man die darauf folgenden Jürgens-Zeilen neu hört: »Ich war noch niemals in Majork, ich war noch niemals richtig frei«. Ist Freiheit (wenn Majork nicht existiert und man sich dort also auch nie aufhalten kann) in Wahrheit nicht möglich? Oder müssen wir uns unser Majork selbst schaffen, ein inneres Majork gleichsam – um frei sein zu können? Und welche Rolle spielt das Geweih in diesem Prozess der Majork-Bildung?
    Udo Jürgens ist übrigens ein Großer, was die Schaffung von Phantasieorten angeht. Herr H. schrieb mir, er habe bei Jürgens’ Song
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