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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels
Autoren: James Morrow
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gleichzeitig an ein Dutzend Orte. »Kappie! Luther! Stellt eure Monitore auf Nahaufnahme und die größte Bildschärfe ein! Geht auf zweitausend Millimeter ran, und ihr werdet die schöne Carlotta sehen, wie sie sich noch niemals blicken ließ!«
    Francis wußte über Carlotta Bescheid. Schon seit Jahren unterstützten ein paar andersdenkende ökonomische Journale die Theorie, daß sich irgendwo im Malnovischen Gürtel ein nicht kartographierter Himmelskörper befand, ein Atlantis unter den Asteroiden, zu klein, um seine Nachbarn zu stören, und zu groß, um uninteressant zu sein. Aber bisher hatte nur eine einzige, mit einem speziellen Teleskop ausgerüstete Wissenschaftlerin das Ding gesehen, mit ihren eigenen drei Augen, und zwar Dr. Carlotta V. Quippet. Und in einem Anfall von Eitelkeit hatte Dr. Carlotta V. Quippet den Stern nach sich selbst benannt.
    Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihre Entdeckung als Planeten, Planetoiden, Asteroiden, entflohenen Mond oder stabilen Kometen bezeichnen sollte. Francis betrachtete sie jedenfalls als Ärgernis. »Wir werden doch nicht damit zusammenstoßen, oder?«
    »Wir werden das Ding rasieren.« Burne schlenderte mit entnervender Nonchalance zur nächsten Computer-Einheit. Während der letzten sechs Tage hatte ihr L-17 Plastikrechtecke ausgespuckt, mit einer kybernetischen Sub-Sprache gestempelt, die nur wenige Leute entziffern konnten. Er packte den Stapel und mischte ihn. »Das bedeutet, daß wir die Troposphäre um fünfzig Kilometer verfehlen werden.«
    »Dann sollten wir ihnen raten, ihre Hennen vom Dach runterzuholen«, entgegnete Francis lächelnd. Doch er war keineswegs in heiterer Stimmung. Er wollte seine Nerde haben, nicht diese trostlose Welt, die da vor seinen Augen hing wie eine Kugel aus giftiger Eiscreme.
    Die Wand am anderen Ende des Raumes teilte sich, und Kappie McKack trat ein und überquerte den Fliegenfängerboden mit einer Leichtigkeit, um die Francis sie beneidete. Sie war eine große Frau, intelligent und schlau, mit klaren Zügen in einem schmalen Gesicht. Ihre jugendliche Stimme gefiel ihm.
    »Hat sich denn niemand die Koordinaten geben lassen? Denkt ihr Schwachköpfe an überhaupt nichts?« Kappie blätterte in den Computerkarten, nahm den Elektrostift aus dem Mund (sie hatte immer einen Elektrostift im Mund) und notierte Carlottas Position auf einem Stück Durchschlagpapier. »Das müssen wir veröffentlichen. Dann werden wir berühmt. Wir sollten die Nerde kontaktieren – sofort!«
    »Durch diese Radiationen kriegst du keine Nachricht durch«, entgegnete Burne, dessen Lider sich verächtlich gesenkt hatten.
    Kappie warf ihm einen Versuchen-wir’s-trotzdem-Blick zu und sprintete schwerelos zur Schalttafel. FM-2 An DR. ALBERT THORNE, tippte sie, GALILEO-INSTITUT, PLANET NERDE.
    FM-2 war die offizielle Bezeichnung ihres wissenschaftlichen Teams. F bedeutete Forschung, M hieß Mission, und die Zwei bezog sich auf die Tatsache, daß sie von ihrer ersten Reise nach Arete nicht als Leichen zurückgekehrt waren. Der Name des Teams war eine Lüge. Es verlangte Francis ebensowenig danach, das Solarsystem zu erforschen, wie es ihn gelüstete, Glas zu essen. Er war Biologe und Insektenexperte (Dissertation an der philosophischen Fakultät: »Die Mückenplage als ökologische Strategie«) und kein Abenteurer. Der Vorteil lag darin, daß man die Insekten daheim in seinen vier Wänden studieren konnte.
    Ein Plastikrechteck schoß wie eine Toastscheibe nach oben, und Kappie fing es in der Luft auf. »TRANSMISSION ZU PLANET NERDE DURCH RADIATION DES MALVONISCHEN GÜRTELS VERHINDERT«, las sie fröhlich vor. »Ich habe euch ja gesagt, daß es nicht funktionieren würde.« Sie wandte sich ab, um Burnes Blick auszuweichen, und studierte den Zigeunerplaneten. »Genauso, wie es diese absonderlichen Theorien behaupten –, eine dunkle Wolkendecke, die alle Sonnenstrahlen aufsaugt – die perfekte Tarnung. Aber nun ist dein Geheimnis enthüllt, Carlotta.«
    Mit blitzenden Augen begann Kappie Mythen zu improvisieren. Hier würden die Marduken leben, erklärte sie, eine verirrte Rasse, deren Sprache Musik war und die in Gerüchen dachte. Dies wäre der legendäre Gartenplanet, in dem jenes Wunderkraut wucherte, das einen, sobald man es verdaut hatte, dazu befähigen würde, die Entscheidung rückgängig zu machen, die man am allermeisten bereute. »Wenn wir noch Treibstoff hätten, Carlotta, dann würden wir auf dir landen und dich entlarven!«
    Landen –
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