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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels
Autoren: James Morrow
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an.«
    »Du bist ein erstklassiger Lügner.« Nachdem er sich aus dem Anzug geschält hatte, ging Francis zu Burne.
    »Die Leute werden wissen wollen, warum du nicht zurückgekommen bist.«
    »Denk dir irgendwas aus.«
    »Wie Kappie und Luther gestorben sind.«
    »Sag, sie seien den Wilden auf Arete zum Opfer gefallen. Dort fliegt niemand hin.« Francis streifte Burnes Krücken, Burne stellte sie beiseite.
    »Ich werde dich vermissen, mein Freund«, sagte Francis und wandte sich ab.
    »Ja…« Burne starrte in seine Kaffeetasse. »Ich werde deine Post weiterleiten.«
     
    Ein paar Minuten später stand Francis am anderen Ufer des Flusses, der aus Haß gemacht war, und beobachtete, wie die Lichter der Darwin wie Monde aufstiegen und in die Nacht hinausglitten. Ein Heiligenschein aus Ionen umgab den Output der Chemieschubkraft. Francis winkte ohne Begeisterung, denn er wußte, da es zu dunkel war – daß Burne ihn nicht auf dem Monitor sehen konnte.
    Der Türsteher, ein schmutziger Mann um die Dreißig, trottete über die Zugbrücke und baute sich neben Francis auf. »Sie müssen jetzt rüberkommen. Ich will die Brücke hochziehen.«
    Francis sah dem Schiff nach. »Ich bin Dr. Lostwax, der Nerdenmann.«
    Der Türsteher imitierte Francis’ Blick. Die Lichter der Darwin schmolzen zu einem einzigen Punkt zusammen, der immer kleiner wurde. »War er Ihr Freund?«
    »Kein guter Freund. Nicht wie…«
    »Eine tolle Maschine.« Der Mann folgte dem Punkt mit dem Zeigefinger.
    »Warum wollen Sie die Brücke hochziehen?«
    »Ich muß heute abend in die Kirche gehen.«
    Francis folgte ihm zur Winde, dann ging er allein weiter durch das Tor. Er stattete seine Augen mit Röntgenstrahlen aus, stellte sich die Kapellen mit ihren Drähten vor. Als er auf den Sand trat, verriet ein Quietschen, daß sich die Brücke hob. Ein hohler Aufprall – und sie war oben. Er schlug den Kragen hoch, um sich vor dem Nachtwind zu schützen, und trat den langen Rückweg nach Tepec an.
    Als er den Wald erreichte, drang das leise Klagen einer Zolmec-Hymne an sein Ohr. Nun verlor die Nacht ihre Schwärze. Vierhundert schimmernde Roben flatterten im Wind. Ärmel und Säume bewegten sich in gespenstischen Wellen. Langsam kam die Gemeinde zwischen den Bäumen heran, Laternen funkelten wie die Gesichter des Lichtvolks.
    Francis blieb neben einem Strauch stehen und wartete darauf, daß ihn die weiße Woge überrollte. Und als sie dann kam, ließ er sich in den Sand zurücktragen.
    Heute hörte die Gemeinde keine Predigt, keine Geschichten von Janet Vij, nur eine kurze improvisierte Ansprache von Mouzon Thu. Er watschelte auf dem Tempel auf und ab, verkündete mit seiner musikalischen Stimme, wie herrlich es sei, die Brücke wieder hochgezogen zu sehen. Er hoffe, daß es immer so bleiben würde.
    Eine junge Frau neben Francis’ Schulter scharrte unzufrieden mit den Füßen. »Wir sind nicht hier, um politische Reden zu hören, Mouzon«, nörgelte sie leise. Francis wandte den Kopf und sah im Laternenschein ein Gesicht, das erstaunlich glatt und kräftig wirkte – wie aus Bronze gehauen. Er war ihm schon einmal begegnet, er wußte aber nicht mehr, wo.
    »Schneid ihm das Bein ab, Ticoma«, wisperte ein junger Mann an ihrer Seite, vermutlich ihr Gatte.
    Sie kicherte. Francis’ Erinnerungsvermögen ließ ihn immer noch im Stich. »Das werde ich tun«, sagte sie.
    »Wirklich?« fragte ihr Mann.
    »In meinen Träumen. Aber heute abend will ich einen größeren Fisch braten. Ich muß mich an dir rächen – für diese unverschämte Bemerkung.«
    »Nur zu«, ermunterte er sie liebevoll.
    Mouzon begann den Segen zu sprechen. »Seid ihr bereit, Jünger? Seid ihr bereit, eure Sünden abzuwerfen, eure biophotonischen Sünden in den Fluß des Hasses zu werfen?«
    »Ja!«
    »Seid ihr bereit, eure Instinkte zu zähmen und eure Zähne zu beschwichtigen? Seid ihr bereit, Chimec, dem Gott der menschlichen Gehirne, jene schwarze summende Grube zu zeigen, die eure Träume zusammenklebt?«
    »Ja!«
    Vor allem Francis war dazu bereit. Als Mouzon seine Gehirnschale abnahm, war Francis der erste, der diesem Beispiel folgte. Er hatte sich gegen die Kälte gewappnet, spürte aber nichts und erinnerte sich, daß ein menschliches Gehirn keine Nerven hat – wie ein Ziegelstein.
    Entlang der Mauer hoben sich Gehirnschalen von den Köpfen – wie Eier aus Eierbechern.
    »Auf zum Tempel!« schrie Mouzon. Während die Pilger die Stufen hinaufstiegen und in den Falltüren verschwanden,
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