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Der Weg ins Glueck

Titel: Der Weg ins Glueck
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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die Fetzen flogen. Sir John French wurde von Sir Douglas Haig abgelöst, und Susan meinte zweifelnd, das zeuge aber von einer armseligen Politik, wenn während einer Krise die Regierung wechselt, »obwohl ich zugeben muss, dass Haig ein guter Name ist und French so einen ausländischen Klang hatte, da könnt ihr sagen, was ihr wollt«. Ob Könige, Läufer oder Bauern, Susan entging nicht ein Zug auf dem großen Schachbrett. Dabei hatte sie sich früher für nichts anderes interessiert als die »Notizen aus Gien St. Mary«.
    »Es gab Zeiten«, seufzte sie, »da kümmerte ich mich überhaupt nicht darum, was außerhalb von Prince Edward Island passierte. Und jetzt kann kein König aus Russland oder China Zahnschmerzen haben, ohne dass ich mir um ihn Sorgen mache. Das mag zwar den Horizont erweitern, wie der Doktor sagt, und gut für den Verstand sein, aber es ist schlecht für die Seele, weil sie mitleiden muss.«
    Zu Weihnachten deckte Susan diesmal keine leeren Sitzplätze am Festtagstisch. Zwei leere Stühle waren selbst für sie zu viel, nachdem sie im September noch fest daran geglaubt hatte, dass es keinen geben würde.
    »Das ist das erste Mal, dass Walter zu Weihnachten nicht zu Hause ist«, schrieb Rilla an diesem Abend in ihr Tagebuch. »Jem fuhr zu Weihnachten immer hinüber nach Avonlea, aber Walter nie. Heute kam ein Brief von Ken und einer von Walter. Sie sind noch in England, rechnen aber damit, dass sie bald in die Schützengräben kommen. Und dann - aber auch das werden wir irgendwie überstehen. Das Merkwürdigste von allem, was ich seit 1914 erlebt habe, ist die Feststellung, dass wir uns mit Dingen abfinden können, von denen wir es nie vermutet hätten, dass wir wie selbstverständlich weiterleben können. Ich weiß, dass Jem und Jerry in den Schützengraben sind, dass Ken und Walter auch bald dort sein werden, dass es mir das Herz brechen wird, falls einer von ihnen nicht zurückkommt - und doch mache ich weiter und arbeite und plane; ja, es kommt sogar vor, dass ich das Leben für einen Augenblick genieße. Manchmal, wenn wir das alles für einen kurzen Moment vergessen, sind wir richtig fröhlich, aber dann fällt uns plötzlich alles wieder ein, und das ist schlimmer als wenn man die ganze Zeit über daran gedacht hätte.
    Heute war ein dunkler, bewölkter Tag, und heute Abend stürmt es fürchterlich - wie Gertrude sagt: das richtige Wetter für einen Schriftsteller, um sich einen schrecklichen Mord oder eine dramatische Liebesgeschichte auszudenken. Die Regentropfen, die langsam an den Fensterscheiben herunterlaufen, sehen aus wie Tränen auf einem Gesicht, und der Wind heult dazu durch das Ahornwäldchen.
    Dieser Weihnachtstag hatte überhaupt nichts Erfreuliches. Nan hatte Zahnschmerzen, und Susan hatte rote Augen und schnitt, um das zu vertuschen, ganz fürchterliche Grimassen. Jims war den ganzen Tag schlimm erkältet, und ich habe Angst, dass er Krupp bekommt. Den hat er seit Oktober schon zweimal gehabt. Das erste Mal habe ich gezittert vor Angst, weil Vater und Mutter fort waren - mir kommt es sowieso so vor, als ob Vater immer ausgerechnet dann aus dem Haus ist, wenn einer in der Familie krank wird. Aber Susan hat kühlen Kopf bewahrt und hat genau gewusst, was zu tun ist, und bis zum nächsten Morgen ging es Jims wieder gut. Dieses Kind ist mal der Engel und mal der Teufel in Person. Er ist jetzt ein Jahr und vier Monate alt, er tapst überall herum und plappert auch schon. Wie niedlich das klingt, wenn er mich »Willa-will« ruft! Ich muss dann immer an diesen schrecklichen, lächerlichen, wunderbaren Abend denken, als Ken kam, um mir Lebewohl zu sagen, und ich so wütend und gleichzeitig so glücklich war. Jims hat eine rosige Haut, hellblondes Haar und große Augen und Löckchen, und immer wieder entdecke ich ein neues Grübchen an ihm. Ich kann es gar nicht fassen, dass er derselbe ist wie dieser magere, gelbhäutige, hässliche Balg, den ich damals in der Suppenschüssel nach Hause brachte. Von Jim Anderson hat man nie etwas gehört. Wenn er nicht zurückkommt, dann behalte ich Jims. Alle hier beten ihn an und verwöhnen ihn - oder würden ihn zumindest verwöhnen, wenn nicht Morgan und ich dem so unbarmherzig im Weg stehen würden. Susan sagt, Jims sei das schlaueste Kind, das ihr je begegnet sei, und er stecke bestimmt mit dem Leibhaftigen unter einer Decke, aber das sagt sie bloß, weil Jims mal den armen Doc oben aus dem Fenster geworfen hat. Auf dem Weg nach unten
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