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Der Weg der Helden

Der Weg der Helden

Titel: Der Weg der Helden
Autoren: David A. Gemmell
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im Lauf der Jahre von den Rückständen der Laternenflammen und der Kohle rußig geworden. Er fragte sich beiläufig, ob das Schiff möglicherweise so etwas wie Scham über den Verlust seiner Macht und seines Prestiges empfand. Du bist ein unverbesserlicher Romantiker!, schalt er sich.
    Als er den Logbucheintrag beendet hatte, entkleidete sich Talaban und trat in das kleine Sanktum neben seinem Schlafzimmer. Er nahm die drei Kristalle aus dem Samtbeutel, der am Fenster hing, und legte sie auf den Teppich. Dann kniete er mit dem Gesicht zum Fenster nieder und breitete die Arme weit aus. Er holte tief Luft und sog die Macht in sich hinein. Mit geschlossenen Augen griff er nach dem ersten Kristall. Er war hell und klar wie glitzerndes Eis. Er hob ihn an seine Stirn und rezitierte den Singsang des Gebets vom Einen. Seine Trance vertiefte sich, und er spürte, wie sich sein Körper entspannte. Er registrierte die Verspannungen in seinen Schultern und seinem Nacken. Sanft linderte er sie. Vollkommen entspannt legte er den Kristall weg und griff nach dem zweiten. Es war ein blauer Kristall von der Größe seines Daumennagels. Er drückte ihn auf seine Brust, über sein Herz. Die Macht des blauen Kristalls drang durch seine Haut in sein Herz, belebte das Blut, strömte durch seine Arterien und Venen und erfüllte sie mit Stärke. Als Letztes nahm er den grünen Kristall, den größten der drei. Ihn drückte er gegen seinen Bauch, während er das Gebet des Avatar Primu rezitierte. Diesmal strömte die Macht stärker durch ihn hindurch, belebte seine Organe, heilte und erneuerte sie. Die Wirkung erschütterte seinen Körper, und Schmerzen strahlten aus seinen Nieren und seiner Leber. Doch der Schmerz verging. Schließlich stand Talaban auf und legte die Kristalle wieder in den schwarzen Samtbeutel zurück.
    Er wusste, dass die Energie des grünen Kristalls allmählich zur Neige ging. Wie lange war es her, seit er sie erneuert hatte? Und was hielt ihn davon ab? Er schob den Gedanken beiseite, während er eine zweite Laterne entzündete und sie zu dem mannsgroßen Spiegel in seinem Schlafzimmer trug. Er beugte sich vor und untersuchte sich. Seine Gesichtshaut war straff und schimmerte gesund. Er war schlank, seine Muskeln traten im Licht der Laterne deutlich und scharf hervor. Nur die Augen sind alt, dachte er. Düster und dunkel, brütend. Es behagte ihm nicht, sich in die Augen zu blicken, deshalb drehte er sich vom Spiegel weg.
    Er nahm eine saubere Hose aus schwarzer Wolle aus dem Schrank und dazu ein Hemd aus silberfarbenem Satin. Dann zog er trockene Stiefel an und kehrte an den Schreibtisch zurück. Mondstein hatte ihm einen Teller mit gepökeltem Fleisch und frischem Brot hingestellt. Außerdem hatte er den Feuerkorb aufgefüllt, in dem jetzt rote Kohlen glühten. Talaban öffnete die Tür der Kabine und trat hinaus auf den kleinen Balkon dahinter. Die kalte Luft umwehte ihn, aber diesmal fühlte sie sich nach der Hitze in der Kabine angenehm an. Die Arbeiter der Vagaren hatten den Gletscher verlassen, aber er konnte immer noch die silbernen Pyramiden sehen, die im Mondlicht glitzerten. Und unsichtbar unter dem Eis suchte die Energie der goldenen Stäbe stumm die Große Ader.
    Ein von Wölfen umzingelter Elch. Die Worte des Anajo fielen ihm wieder ein.
    Die Analogie war nicht ganz zutreffend. Passender wäre das Bild eines Drachen, der von Löwen umzingelt war. Die Raubkatzen fürchteten sein schreckliches Feuer und hielten sich zurück. Er fürchtete ihre Reißzähne und ihre Klauen…
    …und hoffte, dass sie nicht herausfanden, dass sein Feuer im Erlöschen begriffen war.

Kapitel 2

    Questor Ro war Traditionalist. Er hatte sich den Schädel rasiert, seinen gegabelten Bart blau gefärbt und praktizierte jeden Tag die Sechs Rituale der Avatar, und zwar genau zwei Stunden lang. Seine Kleidung war dunkelblau; das Hemd aus teurem Satin war mit Silberfäden durchwirkt, die Hose bestand aus feinster Wolle, und die Stiefel waren aus blau gefärbter Echsenhaut. Um die Taille trug er den silberbeschlagenen Gürtel des Ersten Questors, und er hatte immer noch das zeremonielle Zepter bei sich, ungeachtet der Tatsache, dass dessen Energie seit mehr als zwanzig Jahren verbraucht war. Obwohl die Ozeane das Avatar-Imperium weggespült hatten und dessen Energiequellen unter einem ungeheuren Sarkophag aus Eis begraben lagen, wahrte Questor Ro schon aus Überzeugung die Form. Das war einer von vielen Gründen, warum er Talaban nicht
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