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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens
Autoren: Reginald Hill
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einschließlich eines Kirchenliedes, bei dem seine Großmutter in der Urne Staub aufwirbeln würde. Weil seine Schuldgefühle mit ihm durchgegangen waren und er sich die Begräbnisfeierlichkeiten vorgeknöpft hatte wie Jesus die Geldwechsler, bis Myra seinen Höhenflug mit der Frage: »Okay, du Klugscheißer, und was genau hast du nun vor?« unterbrochen hatte und er eine geräuschvolle Bauchlandung hingelegt hatte.
    »… weil ihr wahrscheinlich wißt, daß Ada mit institutionalisierter Religion nicht allzuviel am Hut hatte. Sie sagte immer, wenn sie mal sterben würde, dann wäre das letzte, was sie sich wünschte, einem begräbnisgeilen Geistlichen in die Hände zu fallen, der ihr im Leierton unwahrscheinliche Tugenden andichtete. Deshalb hab ich das übernommen … nicht den Leierton, hoffe ich … und auch nicht das Dichten … jedenfalls mach ich das jetzt.«
    Und du machst eine ganz schöne Scheiße daraus. Er sah, wie Myras Wut verflog und zu boshaftem Vergnügen wurde. Wenn doch nur Zeit gewesen wäre, sich ein paar Notizen zu machen. Man mußte ganz schön bekloppt sein, sein Vertrauen auf Gott zu setzen, wenn man ihm gerade eine Absage erteilt hatte!
    »Also, ich werde keine großen Notizen machen, ich meine, kein großes Theater machen, denn Ada haßte alles Theater. Aber ich werde den Hingang der bemerkenswerten alten Dame auch nicht einfach un … äh … unkommentiert dahingehen lassen.«
    Das wurde ja immer schlimmer! Nun reiß dich gefälligst zusammen. Wenn du bei der Kripo problemlos eine Bande Zyniker nebst Heloten, die die Schnauze voll haben, instruieren kannst, dann brauchst du dich von einer Kirchenbank voll Runzelweiblein nun wahrlich nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Warum verdreht Myra die Augen? Weiß sie denn nicht, was eine rhetorische Pause ist, wenn sie eine hört?
    »Geboren wurde Ada in Yorkshire, aber lange ist sie dort nicht geblieben. Das Ereignis, das ihr Leben, ja, unser aller Leben, wenn man so will, veränderte, war der Große Krieg. So viele fielen … Millionen von Menschen … die Zahlen sind so hoch, daß man sie gar nicht aufnehmen kann. Einer von ihnen war Adas Vater, mein Urgroßvater. Als meine Urgroßmutter die Nachricht erhielt, nahm sie ihre dreijährige Tochter und kam hierher, nach Warwickshire. Ich weiß nicht, wie sie lebten. Daß es eine Verbindung nach Yorkshire gab, habe ich nur entdeckt, weil ich ein naseweiser Bengel war. Ada gehörte nicht zu den Leuten, die ewig von der Vergangenheit reden, vielleicht, weil sie für sie zu viel Schmerzliches enthielt. Aber ich kann mir vorstellen, daß es Alleinerziehende in jenen Tagen noch schwerer hatten als heute. Auf jeden Fall kamen sie hierher, und hier blieben sie. Hier wuchs Ada auf und heiratete ihrerseits. Und bekam ihrerseits ein Kind. Und erlebte ihrerseits, wie ihr Mann, mein Großvater Colin Pascoe, in den Krieg zog.
    Wußte sie beim Abschied, daß nun die Reihe an ihr war und sie ihn nie wiedersehen würde? Wer weiß. Aber ich denke, sie wußte es. O ja, ich bin mir sicher, daß sie es wußte.«
    Jetzt hatte er sie. Selbst Myra blickte ihn gebannt an.
    »Das Kind war natürlich mein Vater Peter. Er wäre heute gern bei uns gewesen, doch wie ihr vielleicht wißt, nahm er vor ein paar Jahren das Angebot an, in den vorgezogenen Ruhestand zu treten, und folgte meiner ältesten Schwester Susan und ihrer Familie nach Australien, und leider war es ihnen wegen dringender Verpflichtungen nicht möglich, die weite Reise zu machen. Aber ich bin mir sicher, daß sie in diesen traurigen Tagen oft an uns denken.«
    Sein Blick traf sich mit Myras, und er wandte die Augen ab, aber nicht bevor er mit seiner Schwester im Einvernehmen darüber war, daß jeder Gedanke, der sich ihnen aus der antipodischen Nacht zuwandte, wahrscheinlich eines Traumdeuters bedurfte.
    »So kam es, daß Ada 1942 dieselbe Nachricht aus Nordafrika erhielt, die ihre Mutter 1917 aus Flandern erhalten hatte. Eine weitere junge Witwe. Ein weiteres vaterloses Kind. Kein Wunder, daß Ada Uniformen verabscheute, und Kriege und alles, was sie in den Himmel hebt. Beim Anblick der Papiermohnblumen, mit denen man des Waffenstillstands gedenkt, wurde ihr immer übel, und eine ihrer letzten Handlungen bei klarem Verstand war, einen Freiwilligen der British Legion zurechtzuweisen, der auf die Station gekommen war, um Mohnblumen an die Patienten zu verkaufen.«
    Zurechtzuweisen? Laut Myra hatte sie in Wirklichkeit gesagt: »Verpiß dich, du
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