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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige
Autoren: Edward Rutherfurd
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sie.
    »Nein. Ich glaube, ich werde sie mir heute Abend noch einmal ansehen«, erwiderte Mrs. Totton. »Vielleicht kommen Sie ja in Zukunft häufiger in den New Forest«, fügte sie lächelnd hinzu.
    »Vielleicht.«
     
     
    Die Arbeit ging Dottie leicht von der Hand. Endlich wusste sie, wie sie die Unmengen von Material, die sie gesammelt hatte, sinnvoll sortieren sollte. Sie stand kurz vor dem Durchbruch.
    Es war ein seltsames Gefühl, dass sie nun die Geschichte von ihrer Urgroßmutter und Minimus Furzey kannte. Dottie war ganz sicher, Dorothy und damit auch ihre eigenen Wurzeln gefunden zu haben. Ein- oder zweimal hätte sie fast zum Telefon gegriffen, um Peter Pride alles zu erzählen. Doch sie riss sich zusammen. Schließlich konnte sie das immer noch am Sonntag tun, wenn er überhaupt erschien.
    Merkwürdig, dass er ihr Cousin war, wenn auch nur ein weit entfernter.
     
     
    Zufrieden saß Mrs. Totton an diesem Abend im Wohnzimmer. Es war ein schöner Tag gewesen. Sie mochte Dottie Pride. Und es war ein Geschenk des Himmels gewesen, dass sie ihre Familie gefunden hatten. Aus dem New Forest zu stammen, war in Mrs. Tottons Augen die größte Gnade, die einem Menschen überhaupt widerfahren konnte.
    Sie las eine Weile in einem Buch, döste dann etwa eine Stunde lang und stellte sich dann einen Stuhl neben den Koffer, um ein paar von Oberst Albions Briefen durchzublättern. Viele davon behandelten die Alltagsgeschäfte des Gutes oder die Auseinandersetzungen zwischen Forstaufsehern und Waldbehörde. Verglichen mit dem Brief an Furzey waren sie nicht sehr interessant. Aber vielleicht war sie ja auch nicht in der richtigen Stimmung.
    Sie wollte die Päckchen gerade wieder zurücklegen und den Deckel schließen, als ein schmaler Umschlag herausrutschte. Offenbar handelte es sich um einen einzelnen Brief ohne Antwortschreiben. Auf dem Umschlag stand ein einziges Wort in der Handschrift des Oberst: »Mutter?«
    Neugierig geworden öffnete Mrs. Totton das Kuvert. Darin befand sich ein auf beiden Seiten eng beschriebenes Blatt Papier. Die Handschrift war elegant und ließ auf einen gebildeten Menschen schließen. Es war eindeutig nicht die des Oberst.
    »Meine liebste Frau«, begann der Brief. »Jeder von uns hat sein Geheimnis, und es gibt etwas, das ich dir gestehen muss.«
    Es war eine seltsame Beichte. Offenbar litt die Frau dieses Mannes, die er anscheinend sehr liebte, an Albträumen und redete laut im Schlaf. Daher wusste er, dass sie glaubte, ein schweres Verbrechen begangen zu haben. Andere waren für derartige Straftaten deportiert oder sogar hingerichtet worden, während sie ungeschoren davongekommen war.
    Weil sie gelogen hatte. Und nun wurde sie nachts in ihren Träumen von Schuldgefühlen und Reue heimgesucht. Wie es aussah, konnte sie mit niemandem, nicht einmal mit ihrem Mann, über ihre Seelenqualen sprechen. Tagsüber erwähnte sie sie mit keinem Wort. Die Albträume hörten immer wieder für ein paar Monate auf und kehrten dann zurück.
    Was also hatte ihr Mann ihr zu gestehen? Zuerst einmal hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er sie im Schlaf belauscht hatte, und er war nicht sicher, ob er das Thema überhaupt erwähnen sollte. Darauf folgte eine leidenschaftliche Passage. Er schrieb, er kenne sie nun so lange und zweifle keinen Augenblick daran, dass sie ein guter Mensch sei. Als Ehefrau, als Mutter und als Gutsherrin habe sie noch nie etwas Böses gesagt oder getan.
    Hatte sie das Stück Spitze wirklich gestohlen?, fragte er sie. Oder bildete sie es sich inzwischen ein? Er wusste es nicht. Außerdem wäre die Strafe für dieses Verbrechen – so es denn überhaupt stattgefunden hatte – gewiss unverhältnismäßig hoch ausgefallen. Und durch ihre Güte habe sie zudem schon längst verdient, dass man ihr verzieh.
     
    »Vielleicht, meine liebste Fanny, wird es mir gelingen, dich davon zu überzeugen. Dann hören diese schrecklichen Träume möglicherweise auf. Dennoch möchte ich dir diesen Brief hinterlassen, den du erst lesen sollst, wenn ich nicht mehr bin.
    Denn auch ich habe dir etwas zu gestehen. Als ich nach Bath kam, dich anflehte, dich selbst zu retten, und dir sagte, ich wisse, dass du, meine geliebte Frau, dieses Verbrechen nicht begangen hast, habe ich gelogen. Ich hatte Zweifel. Doch ich wünschte mir vor allem, dass du – ob schuldig oder unschuldig – meine Frau werden sollst. Und obgleich ich felsenfest davon überzeugt bin, dass du einmal ins himmlische Königreich Gottes,
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