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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Autoren: Andrej Kurkow
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einem großen Sofa hing. Darauf bliesen Pioniere zum Appell. Rechts unten prangte dick und fett die Signatur des Künstlers.
    „Also, Genosse Iwanow“, sagte Jewsjukow, ohne den Gast anzusehen, und setzte den Korkenzieher an den Sherry an. „Nehmen Sie Platz! Gleich werden Sie einen echten Wein verkosten!“
    Er glaubt wahrscheinlich, dass ich noch nie Sherry getrunken habe!, dachte Mark verärgert, sagte aber nichts.
    Schließlich setzten sie sich an den ovalen Tisch.
    „Länger, Sie müssen ihn länger im Mund behalten!“, empfahl Jewsjukow, aber es klang eher wie ein Befehl.
    Mark hätte sich beinahe verschluckt. Er schluckte den Wein hinunter, tat aber so, als ob er ihn auf der Zunge behalte.
    „Ein wenig im Mund behalten …“ Hitzig gab der Direktor der Lederfabrik Anweisungen. „Klawotschka, haben wir Sprotten da?“
    „Ja, mein Schatz!“, antwortete seine Frau.
    „Mach sie bitte auf, sie passen hervorragend zum Muskat.“
    Bald stiegen sie auf den Muskat um. Und das Gespräch wechselte sogleich vom korrekten Weingenuss auf freiere Themen über, auf Ereignisse aus dem Leben.
    „Ja, so ist er, immer bemüht er sich darum, voranzukommen!“, sagte Klawdija Stepanowna, nachdem sie eine weitere Grobheit ihres Mannes ausgebügelt hatte. „Vor kurzem erst hörte er, dass in Wologda die Kreuze von den Glockentürmen der Klöster abgenommen werden sollen. Da ist er aufgesprungen und losgefahren – ist selbst dorthin gefahren und hat eigenhändig Kreuze abgesägt!“
    Mark, der schon etwas angeheitert war, hörte der Frau mit den rosigen Wangen zu.
    Jewsjukow, der mehr und schneller trank als Mark, benutzte die Pause dazu, um das nächste Glas Wein zu leeren. Es hatte den Anschein, als würde er es genießen, den Erzählungen seiner Frau über sich selbst zuzuhören.
    „Einmal ist er mit einem Militärpiloten in den Himmel geflogen!“, fuhr Klawdija Stepanowna fort, ihren Mann zu loben.
    Und ich fahre immer nur Zug!, dachte Mark traurig und stellte fest, dass er in seinem Leben nichts Heroisches vollbracht hatte und sich mit nichts brüsten konnte.
    Wieder knallte der Korken, er stammte bereits von der vierten Flasche. Sie waren zum Sherry zurückgekehrt, der ihnen nach dem Muskat und dem Kokur nun etwas bitter vorkam.
    „Und im zweiundzwanziger Jahr bin ich extra nach Gorkij gefahren zu Lenin!“ Jewsjukow übernahm von seiner Frau wieder das Wort und beschloss, nun selbst von sich weiterzuerzählen. „Es ist mir damals nicht gelungen, mit ihm zu sprechen, aber ich habe ihn aus der Nähe gesehen!“
    „Ich habe ihn auch gesehen …“, sagte Mark mit schwerer Zunge und sah dabei auf sein Kristallglas mit Sherry.
    „Wann?“, fragte Jewsjukow.
    „Na, so ungefähr vor zwei Jahren …“, brachte Iwanow langsam hervor.
    Jewsjukow kniff die Lippen zusammen. Klawdija Stepanowna verkrampfte sich, um sich für die nächste Grobheit ihres Mannes zu wappnen.
    „Zu viel getrunken!“, sagte der glatzköpfige Ehemann unerwartet sanft, aber mit geringschätzigem Gesichtsausdruck. „Der Künstler hat zu viel getrunken! Ein Säufer …“
    Mark ertrug es, ohne seinen Blick vom Glas zu wenden. Ihm war plötzlich die unterschriebene Verschwiegenheitserklärung eingefallen, und auch der letzte strenge und drohende Blick dieser militärischen Person, des Oberleutnants …
    „Ein Säufer und ein Schmarotzer!“, meinte Jewsjukow nach einer Pause.
    „Warum Schmarotzer?“, stieß Mark hervor.
    „Warum Schmarotzer?“, hob Jewsjukow verwundert die Brauen. „Weil du bei deinem Vogel, deinem Papagei, mitschmarotzt! Wer bist du denn ohne den Vogel? Hm? Wer braucht dich schon ohne den Vogel?!“
    Mit einem Mal fühlte sich Mark sehr schlecht. Er stand auf und hätte beinahe den Stuhl dabei umgeworfen.
    „Genosse Iwanow, Genosse Iwanow!“, gackerte Klawdija Stepanowna.
    „Setz dich!“, fuhr ihr Mann sie an. „Soll er doch gehen, der Papageienlakai!“
    Ohne seine Beine zu spüren, kehrte Mark in sein Zimmer zurück, setzte sich in den Korbsessel und weinte. Ihm war übel. Wie ein bunter Nebel hing der Wein in seinem Kopf.
    Es klopfte an der Tür. Mark reagierte nicht, doch die Tür öffnete sich. Klawdija Stepanowna trat ein und kauerte sich neben ihn hin.
    „Kränken Sie sich bitte nicht seinetwegen!“, bat sie. „Er ist kein schlechter Mensch, er ist nur unbeherrscht. Er ist schließlich ein Arbeitstier, er hat bereits seit fünf Jahren eine Betriebsneurose. Aber eigentlich ist er ein Guter, er ist mit dem
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