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Der wahnsinnige Xandor

Der wahnsinnige Xandor

Titel: Der wahnsinnige Xandor
Autoren: Ernst Vlcek
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Pergament festgehalten war. Von dort sah er immer wieder kurz zu dem Fremden, und mit jedem Mal, da er den unbekannten Helden mit dem Bildnis verglich, stieg Nottrs Ehrfurcht vor ihm.
    Tukk hätte dieses Geheimnis vielleicht lüften können. Aber der Schamane war tot. Nottr musste selbst entscheiden.
    Mit einem Gefühl der Ergriffenheit stieg er aus dem Sattel, kauerte vor dem Fremden nieder und reichte ihm das Pergament. Dazu sagte er in der Sprache der Friedländer, die er leidlich beherrschte: »Du nicht sterben. Du sehen und zu mir sagen. Ich Nottr.«
    Der Fremde ließ Nonu los und ergriff zaghaft das Pergament. Er hielt es vors Gesicht und starrte darauf. Dabei weiteten sich seine Augen vor Überraschung, und seiner Kehle entrang sich ein unverständlicher Laut. Er konnte die Augen nicht von dem Bildnis lassen, das schließlich seinen zitternden Händen entglitt und zu Boden fiel. Aber auch dann starrte er immer doch verständnislos darauf.
    »Es dein! Dir gehören«, sagte Nottr plötzlich aus innerem Antrieb. »Du mutig! Du tapfer! Du mir Freund?«
    Es erleichterte Nottr, dass der Fremde auf sein Angebot nicht mit Ablehnung antwortete. Es war immer gut, sich mit geheimnisumwitterten Leuten gut zu stellen. Weil man nicht wusste, ob sie nicht auch Träger übernatürlicher Kräfte waren.
    »Wie dein Name?« fragte Nottr.
    Und der Fremde, der dem Frauenbildnis auf dem Pergament so stark ähnlich sah, antwortete: »Man nennt mich Mythor.«
    *
    Mythor glaubte nicht, dass er sein Leben der Kampfkraft verdankte, die er gegenüber den Barbaren gezeigt hatte. Auch wenn ihr Anführer seinen Mut und seine Tapferkeit hervorhob, so war er sicher, dass er Nottrs Gnade nur seiner Ähnlichkeit mit dem Frauenbild auf dem Pergament zuzuschreiben hatte. Der Barbar war abergläubisch wie alle einfachen Menschen dieser Welt. Vermutlich glaubte er an Bilderzauber, und die Ähnlichkeit zwischen Mythor und der Frau auf dem Bild musste seine Urängste angesprochen haben.
    Äußerlich nahm Nottr diese Tatsache jedoch recht ruhig auf. Ganz im Gegensatz zu Mythor. Er war zutiefst beeindruckt. Vergessen war die Gefahr, in der er sich gerade noch befunden hatte. Das Schicksal hatte ihm durch Nottrs Hand ein großartiges, außergewöhnliches Geschenk gemacht. Er sah das Unerklärliche als bedeutungsvolle Fügung.
    Wenn er das Bildnis betrachtete, glaubte er, darin zu versinken. Das schmutzige, fettige Pergament zeigte ein übernatürlich schönes Wesen. Eine junge Frau, wenn auch nur ihr Gesicht. Aber was für ein Gesicht! Das Gesicht einer Fee - noch mehr, das Gesicht einer Göttin. Und doch sah er sich selbst darin!
    Es war keine Vermessenheit, denn er fand sich selbst weder schön noch anziehend. Er hatte aber dennoch vom ersten Moment an die Gewissheit, dass er bestimmte Züge dieses Frauenbildnisses in seinem eigenen Gesicht trug.
    Er war so in die Betrachtung vertieft, dass er gar nicht erschrak, als Nottr seinen Krummsäbel zog und ihn vor ihm in den Boden trieb. Die breite Klinge war so blank, dass er sich darin wie in einem Spiegel sehen konnte. Und sein Spiegelbild gab ihm die Bestätigung.
    Sie mochte eine Göttin sein, ein Überwesen aus höheren Gefilden, aber etwas war an dieser Frau, was auch er in sich trug. Wie gering diese Gemeinsamkeit auch sein mochte, wenn sie selbst dem Barbaren Nottr aufgefallen war, dann musste sie vorhanden sein. Nottr war so beeindruckt, dass er aus abergläubischer Furcht nicht wagte, Hand an ihn legen zu lassen. Und das machte ihn sicher, dass es eine geheimnisvolle Verbindung zwischen ihm und dieser Frau gab.
    Er würde ihr Bild immer bei sich tragen. Er wollte nicht eher ruhen, bis er dieser Göttin eines Tages gegenübertreten konnte. Seiner Göttin!
    »Dir«, sagte Nottr und schob ihm das Pergament zu. »Du mit uns. Nonu deine Kampfschwester. Du reiten mit ihr. Wir weiterziehen.«
    Mythor strich das Pergament glatt, dann rollte er es zusammen und steckte es behutsam unter sein Lederwams.
    Nonu, die üppige Barbarin mit der blutigen Wunde quer über dem Gesicht, saß bereits verkehrt auf dem Rücken ihres stämmigen Pferdes.
    »Müttr!« Sie sprach seinen Namen hart und bellend aus. Aber das störte Mythor weniger als der verächtliche Unterton. Dennoch hatte er keine andere Wahl, als ihre dargebotene Hand zu ergreifen und sich in den Sattel helfen zu lassen. Rücken an Rücken ritten sie mit den anderen davon.
    *
    Sie kamen in ein Gebiet mit kargem Pflanzenwuchs. Der Boden war felsig und
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