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Der Wachsblumenstrauß

Der Wachsblumenstrauß

Titel: Der Wachsblumenstrauß
Autoren: Agatha Christie
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wollte, wies Marjorie ihn scharf zurecht. Marjorie, die Köchin des Hauses, war jung, gerade siebenundzwanzig, und stellte Lanscombes Geduld immer wieder auf die Probe, weil sie überhaupt nicht dem Bild entsprach, das er sich von einer richtigen Köchin machte. Es fehlte ihr an Distinktion, und außerdem achtete sie seine, Lanscombes, Position zu gering. Immer wieder nannte sie das Haus ein »altes Mausoleum« und beschwerte sich über den weitläufigen Küchenbereich, »wo man zwischen Speisekammer und Spülküche eine halbe Tagesreise zurücklegen muss«. Sie war seit zwei Jahren in Enderby und nur geblieben, weil sie zum einen gut bezahlt wurde und zum anderen, weil Mr Abernethie ihre Kochkünste gebührend zu würdigen gewusst hatte. Sie kochte in der Tat sehr gut. Janet, die sich am Küchentisch zur Erholung eine Tasse Tee gönnte, war ein älteres Dienstmädchen, das zwar häufig erbitterte Wortkriege mit Lanscombe führte, sich aber gegen die jüngere Generation in Gestalt von Marjorie meist mit ihm verbündete. Die vierte Person, die sich in der Küche befand, war Mrs Jacks, die nur bei besonderen Anlässen aushalf und der die Beerdigung gut gefallen hatte.
    »Es war wunderschön«, sagte sie mit einem gebührend sittsamen Schniefen, während sie sich Tee nachschenkte. »Neunzehn Autos, die Kirche war fast voll, und der Pfarrer hat die Messe wunderbar gelesen. Und schönes Wetter, genau richtig für eine Beerdigung. Ach, der arme Mr Abernethie. Solche wie ihn gibt’s nicht mehr viele. Alle haben sie Respekt vor ihm gehabt.«
    Ein Hupen war zu hören und dann ein Auto, das die Auffahrt heraufkam. Mrs Jacks stellte ihre Tasse ab. »Da sind sie!«, rief sie.
    Marjorie drehte die Gasflamme unter dem großen Topf mit Hühnercremesuppe höher. Der überdimensionale Kochherd aus den Tagen viktorianischer Pracht stand kalt und unbenützt da, wie ein der Vergangenheit geweihter Schrein.
    Die Wagen fuhren nacheinander vor und die schwarz gekleideten Insassen stiegen aus und gingen zögernd durch die Eingangshalle in den großen grünen Salon. In Anbetracht der ersten frischen Herbsttage brannte im Kamin ein Feuer, und auch wegen der Trauergäste, die nach dem Herumstehen bei der Beerdigung sicher frösteln würden.
    Lanscombe betrat den Raum und bot auf einem Silbertablett Gläser mit Sherry an.
    Mr Entwhistle, Seniorpartner der alteingesessenen und angesehenen Firma Bollard, Entwhistle, Entwhistle and Bollard, stand am Feuer und ließ sich den Rücken wärmen. Er nahm ein Glas Sherry entgegen und musterte die Versammelten mit dem scharfen Blick des Notars. Nicht alle Anwesenden waren ihm persönlich bekannt, und er musste sie sozusagen erst zuordnen. Die Vorstellungen vor der Abfahrt zum Trauergottesdienst waren flüchtig und nur im Flüsterton gemacht worden.
    Als Erstes betrachtete er den alten Lanscombe. »Der ist schon ziemlich wackelig auf den Beinen«, dachte Mr Entwhistle. »Wenn mich nicht alles täuscht, geht er auf die neunzig zu. Na, er bekommt ja eine nette Leibrente. Der hat ausgesorgt. Treue Seele. So altmodisches Dienstpersonal bekommt man heute gar nicht mehr. Hilfskräfte und Babysitter, was anderes gibt’s nicht. Es ist schon ein Jammer. Ein Segen, vielleicht, dass Richard vor seiner Zeit abgetreten ist. Wahrscheinlich hatte er nichts mehr, was ihn noch am Leben hielt.«
    Für Mr Entwhistle mit seinen zweiundsiebzig Jahren war Richard Abernethies Tod im Alter von achtundsechzig eindeutig verfrüht. Der Notar hatte sich zwei Jahre zuvor aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen, aber als Richard Abernethies Testamentsvollstrecker und aus Respekt vor einem seiner ältesten Klienten, mit dem er auch persönlich befreundet gewesen war, hatte er die Reise nach Nordengland auf sich genommen.
    Während er im Geiste die Verfügungen des Testaments durchging, betrachtete er die Familienmitglieder.
    Mrs Leo – Helen – kannte er natürlich gut. Sie war eine reizende Dame, die er gerne mochte und auch schätzte. Er betrachtete sie mit Sympathie dort neben dem Fenster. Schwarz stand ihr besonders gut. Sie hatte auf ihre Figur geachtet. Ihm gefielen die klar geschnittenen Züge, der Schwung, mit dem die grauen Haare von den Schläfen nach hinten gekämmt waren, und die Augen, die früher mit Kornblumen verglichen worden und auch heute noch leuchtend blau waren.
    Wie alt Helen jetzt wohl sein mochte? Etwa ein- oder zweiundfünfzig, vermutete er. Seltsam, dass sie nach Leos Tod nie wieder geheiratet hatte. Sie
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