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Der Wachsblumenstrauß

Der Wachsblumenstrauß

Titel: Der Wachsblumenstrauß
Autoren: Agatha Christie
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gegeben, die Gouvernanten hatten ihre liebe Mühe. Farblos waren sie, diese Gouvernanten; Lanscombe hatte immer nur Verachtung für sie empfunden. Aber die jungen Damen waren sehr temperamentvoll gewesen. Vor allem Miss Geraldine. Und Miss Cora auch, obwohl die viel jünger war. Und jetzt war Mr Leo tot, und Miss Laura war auch gestorben. Mr Timothy war invalid, wirklich eine schlimme Sache. Und Miss Geraldine war irgendwo im Ausland gestorben. Und Mr Gordon im Krieg gefallen. Mr Richard, obwohl der Älteste der Geschwister, hatte sie alle überlebt – na ja, nicht ganz, denn Mr Timothy lebte ja noch, und auch die kleine Miss Cora, aber die hatte diesen abscheulichen Pinselkünstler geheiratet. Fünfundzwanzig Jahre lang hatte er sie nicht gesehen. Als sie mit dem Kerl weggegangen war, war sie ein hübsches junges Ding gewesen, und jetzt hätte er sie beinahe nicht wieder erkannt, so korpulent war sie geworden – und so exzentrisch in diesem Kleid! Ihr Mann hatte aus Frankreich gestammt, ein Franzose, oder zumindest ein halber Franzose – und was man davon zu halten hatte, wusste man ja. Aber Miss Cora war auch immer eine etwas – nun ja, eine schlichte Natur gewesen. Die kamen in jeder Familie vor.
    Aber sie hatte ihn sofort wieder erkannt. »Da ist ja Lanscombe!«, hatte sie gesagt und sich offenbar wirklich gefreut, ihn zu sehen. Ach ja, damals hatten sie ihn alle gern gemocht. Bei Abendgesellschaften waren sie immer zu ihm in die Küche hinuntergeschlichen, und er hatte ihnen von der Götterspeise und der Charlotte Russe gegeben, wenn die Schüsseln aus dem Esszimmer zurückgetragen wurden. Sie hatten den alten Lanscombe alle gekannt, aber heute gab es praktisch niemanden mehr, der sich an ihn erinnerte. Jetzt gab es nur das junge Volk, das er nicht auseinander halten konnte und das in ihm einfach einen alten Butler sah, der fast schon zum Inventar gehörte. Ein Haufen Fremder, hatte er gedacht, als sie sich vor der Beerdigung im Haus eingefunden hatten – und obendrein ein ziemlich verwahrloster Haufen Fremder.
    Aber nicht Mrs Leo – die war anders. Sie und Mr Leo waren nach ihrer Heirat häufiger hier gewesen. Mrs Leo war eine feine Dame – eine richtige Dame. Sie trug anständige Kleider, hatte eine richtige Haarfrisur und sah aus, wie es sich gehörte. Und der gnädige Herr hatte sie immer gern gehabt. Ein Jammer, dass sie und Mr Leo nie Kinder bekommen hatten…
    Lanscombe fuhr zusammen. Was dachte er sich bloß dabei, hier rumzustehen und den alten Zeiten nachzuhängen, wo es so viel zu tun gab? Die Rouleaus im Erdgeschoss waren alle offen, und Janet war auf seine Anweisung hin nach oben gegangen, um die Schlafzimmer herzurichten. Er, Janet und die Köchin waren zum Trauergottesdienst in der Kirche gewesen, aber anschließend nicht mit ins Krematorium gefahren, sondern gleich ins Haus zurückgekehrt, um die Rouleaus hochzuziehen und das Mittagessen vorzubereiten. Natürlich wurde nur kalt serviert: Schinken, Hühnchen, Zunge und Salat. Und hinterher kaltes Zitronensoufflé und Apfelkuchen. Vorneweg eine heiße Suppe – er sollte lieber mal nachsehen, ob Marjorie schon so weit war, dass sie gleich serviert werden könnte, denn die Gäste würden in ein oder zwei Minuten bestimmt hier sein.
    Im schlurfenden Trab verließ er den Raum. Dabei streifte sein Blick geistesabwesend das Gemälde, das hier über dem Kamin hing – das Gegenstück zum Porträt im grünen Salon. Das Bild brachte den weißen Satin und die Perlen gut zur Geltung, aber die menschliche Gestalt, die das alles trug, war nicht annähernd so eindrucksvoll wie die Person auf dem anderen Gemälde. Nichtssagendes Gesicht, kleiner Mund, Mittelscheitel. Eine bescheidene, unauffällige Frau. Das einzige wirklich Bemerkenswerte an Mrs Cornelius Abernethie war ihr Name gewesen – Coralie.
    Coral Hühneraugenpflaster und die dazugehörigen Fußpflegemittel von Coral waren auch nach über sechzig Jahren seit der Firmengründung noch immer ein Renner. Ob Coral Hühneraugenpflaster je besonders wirksam gewesen waren, konnte niemand sagen – aber sie hatten Anklang beim Publikum gefunden und so den Grundstein zu diesem neogotischen Palast gelegt, zu den weitläufigen Gärten und dem Vermögen, das sieben Söhnen und Töchtern ein beträchtliches jährliches Einkommen gesichert und Richard Abernethie ermöglicht hatte, vor drei Tagen als sehr wohlhabender Mann zu sterben.
     
     

II
     
    Als Lanscombe in der Küche ein Wort der Ermahnung sprechen
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