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Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Titel: Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)
Autoren: Günter W. Hohenester
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nicht zu trauen. Zufrieden hüllte ich mich in mein Bärenfell. Den Rücken gegen den Baumstamm gelehnt, blickte ich hinauf in den mondhellen klaren Sternenhimmel.
     

Die Stimme der Ewigkeit
    Ich schlief bis in den Morgen hinein. Es war nicht mehr nötig des Nachts zu wandern. Die Vögel des Od kannten den Weg. Ich konnte mich auf sie verlassen.
    Wir zogen durch eine fast baumlose Steppe. An ihrem Ende musste das große Wasser sein. Ojun hatte mir davon erzählt. Der Weg durch die Steppe war nicht beschwerlich, aber lang. Am Abend des dritten Tages näherten wir uns einer hoch aus der flachen Ebene aufragenden Felswand. Wir hatten die Sonne im Rücken. Die Felsen leuchteten flammend rot in ihrem schwächer werdenden Licht. Der Schatten einer einsamen Wolke schwebte an ihnen vorbei.
    Ich war müde. Wir waren im Morgengrauen aufgebrochen. Es war an der Zeit nach einem Rastplatz Ausschau zu halten. Als ich mein Bündel zu Boden warf, entstand wütender Protest. Die Vögel des Od gebärdeten sich wie toll.
    »Jetzt nicht! Jetzt nicht!«, kreischten sie.
    Ich erschrak. Hatte ich etwas übersehen? Gab es eine Gefahr? War ein Raubtier hinter mir?
    Ich wirbelte herum. Aber da war nichts. Nur die Sonne, die als riesiger glutroter Ball knapp über der Erde schwebte. Und einige harmlose Sträucher, die lange Schatten warfen.
    »Was ist los?«, wollte ich wissen. »Was soll das? Seit ihr verrückt geworden? Wollt ihr euch über mich lustig machen?«
    »Nein, nein, nein! Wir sind gleich da! Wir sind gleich da!«
    Sie kreisten aufgeregt über mir und flogen dann ein Stück auf die Felswand zu, um gleich wieder zu mir zurückzukehren und die ganze Prozedur zu wiederholen.
    »Ist ja gut«, sagte ich. »Wenn es denn wirklich nicht mehr weit ist.«
    Ich schulterte mein Gepäck und folgte ihnen.
    Ein leichter Wind kam auf. Er wehte durchsichtige Fahnen aus Sandstaub vor mir her. In der Ferne war das Heranrollen der Brandung des großen Wassers zu hören.
    Die Vögel des Od hatten recht gehabt. Wir erreichten den Fuß der Felswand nach kurzer Zeit. Gesteinsbrocken lagen herum. Eine schmale Geröllspur führte zu einem Spalt in der Wand, den ich von Weitem nicht gesehen hatte. Die Vögel des Od flogen hinein. Ich zögerte. Wer weiß, welche Gefahr dahinter lauerte.
    Die Vögel kehrten zurück. Sie ließen sich auf einem Stein neben mir nieder.
    »Du brauchst keine Angst zu haben«, krächzte der Bläuliche. »Da drinnen ist, alles in Ordnung. Komm endlich.«
    Schon flatterten sie wieder voraus.
    Ich unterdrückte meine Besorgnis und wand mich zwischen den Felsen hindurch. Der Spalt weitete sich zu einer Schlucht. Der Boden war hier mit hellem Sand bedeckt. Der Wind drang nicht herein. Das Rauschen der Wellen des großen Wassers war in die Ferne gezogen. Es wurde vom Schlagen der Flügel der Vögel des Od übertönt. Sie verschwanden hinter einem Felsvorsprung. Ich hastete hinter ihnen her. Als ich um die Ecke bog, erstarrte ich in freudigem Schreck.
    Vor mir spielte sich eine Jagdszene ab. Drei Speerträger verfolgten einen Springbock. Sie hatten ihn fast eingeholt. Der vorderste der Jäger hatte schon den Arm nach hinten gestreckt, um seinen Speer nach ihm zu werfen.
    Ich wandte den Blick ab und richtete ihn auf meine Begleiter.
    Die Vögel des Od saßen geduckt auf einem Felsen. Sie hatten die Köpfe zur Seite gedreht und sahen mich schelmisch an.
    »Na?«, sagten sie.
    »Ja.« Ich gab ihnen recht. Wir waren am Ziel. Ich erkannte die Stimme der Ewigkeit. Ich hatte sie gefunden. Wir hatten sie gefunden.
    Es war keine reale Jagd, die ich da vor Augen hatte. Nein. Es war ein Bild. Ein Bild, das vor unendlich lang zurückliegender Zeit in die Wand geritzt und ausgemalt worden war.
    »Stimme der Ewigkeit. Stimme der Ewigkeit«, krächzten die Vögel des Od und tanzten übermütig flatternd im Kreis.
    Sie überzeugten mich endgültig.
    Hier hatte ich die Lösung der Aufgabe, die mir gestellt worden war und die mir lange nicht zu bewältigen erschien vor Augen:
    Ich brauchte nur die Bilder, die mir bei den Worten des großen alten Mammuts durch den Kopf gegangen waren, auf diese Felswand bringen und die Völker konnten das Gesetz der Jagd und damit das Gesetz des Lebens über die Gegenwart hinaus und über alle Zeiten hinweg, erfahren.
    Wo meine Malkunst nicht ausreichte, konnten mir die Gegenstände, die ich jetzt schon so lange mit mir führte, helfen. Der Schamane hatte ihnen damals schon den entsprechenden Namen gegeben. Warum war ich
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