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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann
Autoren: Mo Hayder
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Quinns Taschenlampe aus dem Blick, was ihm momentweise Unbehagen bereitete, denn so tief drinnen im Gelände war es stockdunkel:
Das Kamerateam war fertig und saß in seinem weißen Transitbus, wo es das Originalband überspielte, und die einzige Lichtquelle war jetzt das schwache Leuchten des fluoreszierenden Bandes, das die Einsatzleiterin angebracht hatte. Damit wurde das Gelände zu beiden Seiten des Wegs abgesperrt, bis die Beamten vom AMIP eintrafen, um alle etwaigen Spuren und Beweismittel mit Anhängern zu versehen und in Tüten zu verschließen. Wie Geister tauchten sie aus dem Nebel auf: schwache grüne Umrisse von Flaschen, zerdrückte Dosen, etwas Formloses, das ein T-Shirt oder ein Handtuch hätte sein können. Förderbänder und Brückenkräne erhoben sich dreißig Meter in den Nachthimmel über ihnen und wirkten so grau und reglos wie stillgelegte Achterbahnen.
    Quinn hob die Hand und bedeutete ihnen stehenzubleiben.
    »Da«, sagte sie zu Caffery. »Sehen Sie? Sie liegt auf dem Rücken.«
    »Wo?«
    »Sehen Sie das Ölfaß?« Sie ließ den Lichtstrahl darübergleiten.
    »Ja.«
    »Und die beiden Armierungseisen rechts davon?«
    »Ja.«
    »Folgen Sie ihnen nach unten.«
    »Gütiger Gott.«
    »Sehen Sie es?«
    »Ja.« Er richtete sich auf. »Ja. Ich sehe es.«
    Das ist ein Körper? Er hielt es für Sprühschaum, für Schaum aus einer Dose, so aufgebläht, gelb und glänzend wirkte er. Dann sah er Haar und Zähne und erkannte einen Arm. Und schließlich, als er den Kopf zur Seite neigte, erkannte er, worauf er blickte.
    »Ach, um Himmels willen«, flüsterte Maddox gequält. »Na los. Jemand soll ein Zelt über ihr aufspannen.«

2. KAPITEL
    N achdem die Sonne aufgegangen war und den Flußnebel weggebrannt hatte, wußten alle, die die Leiche bei Tageslicht gesehen hatten, daß es sich nicht um einen Scherz von Medizinstudenten handelte. Harsha Krishnamurthi, der diensthabende Pathologe des Innenministeriums, traf ein und verschwand für eine Stunde unter dem weißen Zelt. Ein Team der Spurensicherung wurde herbeigerufen und eingewiesen, und um zwölf Uhr mittags hatten sie die Leiche aus den Betonteilen geborgen.
    Caffery fand Maddox auf dem Vordersitz des Sierra von Team B.
    »Alles okay?«
    »Wir können hier nichts mehr tun, werter Kollege, wir überlassen jetzt Krishnamurthi die Arbeit.«
    »Gehen Sie heim, und schlafen Sie etwas.«
    »Sie auch.«
    »Nein, ich bleibe.«
    »Nein, Jack. Sie auch. Wenn Sie sich in Schlaflosigkeit üben wollen, haben Sie in den nächsten Tagen Gelegenheit dazu. Glauben Sie mir.«
    Caffery hob die Hand. »Schon gut, schon gut. Ganz wie Sie meinen, Sir.«
    »Genauso meine ich es.«
    »Aber ich werde sicher nicht schlafen.«
    »Na schön. Gut. Gehen Sie trotzdem heim.« Er deutete in die Richtung, wo Cafferys zerbeulter alter Jaguar stand. »Gehen Sie heim, und tun Sie einfach so, als würden Sie schlafen.«

    Das Bild der tiefgelben Leiche unter dem Zelt ließ Caffery nicht los, auch nicht, als er nach Hause kam. Im weißlichen Morgenlicht schien sie realer zu sein als in der Nacht davor. Ihre Finger mit den abgebissenen, himmelblau lackierten Nägeln waren nach innen in die angeschwollenen Handflächen gebogen.
    Er duschte und rasierte sich. Sein Gesicht, das er im Spiegel sah, war von einem Morgen am Fluß gebräunt, und um seine Augen hatten sich neue Sonnenfältchen gebildet. Er wußte, daß er nicht schlafen würde.
    Die neuen Beamten im AMIP, die durch schnelle Beförderung aufgestiegen waren, waren jünger, härter und fitter, und er bemerkte den Unmut in den niedrigen Rängen, er verstand die kleine, grausame Freude, die sie verspürten, als der achtwöchige Bereitschaftsdienst turnusmäßig wieder auf Team B überging und gemeinerweise genau mit seinem ersten Einsatz zusammenfiel.
    Sieben Tage, vierundzwanzig Stunden Bereitschaftsdienst, schlaflose Nächte: und dann direkt kopfüber in den Fall, keine Zeit, um Atem zu schöpfen. Er wäre wohl nicht in bester Verfassung.
    Und es sah nach einem schwierigen Fall aus.
    Nicht nur der Tatort und die fehlenden Zeugen dürften die Recherchen erschweren; im Morgenlicht hatten sie außerdem die schwarzen, schwärenden Spuren von Nadeleinstichen entdeckt.
    Und der Täter hatte mit der Brust des Opfers etwas angestellt, woran Caffery hier, in seinem weißgekachelten Badezimmer, gar nicht denken wollte. Er trocknete sich das Haar ab und schüttelte das Wasser aus den Ohren. Hör auf, jetzt daran zu denken. Hör auf, dich davon
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