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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann
Autoren: Mo Hayder
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komme ich noch.« Er deutete den Raum hinunter. »Die entomologische Untersuchung wird Genaueres ergeben, aber annähernde Angaben kann ich Ihnen zu allen liefern: Die erste, die Sie gefunden haben, war die letzte, die gestorben ist, wir wollen sie Nummer fünf nennen. Sie ist vor weniger als einer Woche gestorben. Dann springen wir etwa einen Monat zurück, dann zweieinhalb Monate. Die erste ist vermutlich im Dezember gestorben; aber dann werden die Abstände geringer. Wir haben Glück; die Einwirkungen von dritter Seite sind gering, sie sind ziemlich gut erhalten.«
    Er zeigte auf einen trostlosen Haufen schwarzen Fleisches auf dem zweiten Seziertisch.
    »Sie starb als erste. Die langen Knochen verraten, daß sie noch keine achtzehn war. Auf ihrem linken Arm ist etwas, das wie eine Tätowierung aussieht. Das könnte der einzige Anhaltspunkt sein, um sie zu identifizieren. Das oder die Zähne. Nun …« Er hob einen Finger. »Was das Aussehen bei der Auffindung betrifft – ich weiß nicht, wieviel Sie draußen erkennen konnten, aber alle trugen Make-up. Starkes Make-up. Deutlich erkennbar. Obwohl sie so lange im Boden gelegen haben. Lidschatten, Lippenstift. Der Fotograf hat alles festgehalten.«
    »Make-up. Tätowierungen …«
    »Ja, Mr. Maddox. Und wenn wir in dieser Richtung weiterdenken, hatten zwei Beckenentzündungen, eine einen verhornten Anus, massenhafter Hinweis auf Drogenmißbrauch; Endokarditis der Trikuspidalklappen. Ich will keine voreiligen Schlüsse ziehen …«
    »Ja, ja, ja«, murmelte Maddox. »Also sagen wir, es geht um Prostituierte. Ich glaube, das wußten wir schon. Was können Sie uns über die Verletzungen sagen?«
    »Ah! Jetzt wird es interessant.« Krishnamurthi schob eine
Hängelampe zur Seite, trat zu einer Leiche heran und bat die beiden, ihm zu folgen. »Sehen Sie, ich habe den zweiten Thorako-Abdominalschnitt sehr eng angelegt, ohne den zu berühren, den der Täter gemacht hat, und ohne die Brüste zu verletzen, so daß ich aus den Einschnitten Gewebe entnehmen und einen Blick nach innen werfen konnte, um nachzusehen, was dort drinnen los ist.«
    »Und?«
    »Irgendwelches Gewebe ist entfernt worden.«
    Maddox und Caffery tauschten Blicke aus.
    »Das Ganze stimmt grob mit dem üblichen Vorgehen bei einer Brustverkleinerung überein. Es ist auch vernäht. Wichtig ist meiner Ansicht nach, daß der Täter diese Verschönerung bei den Opfern mit kleineren Brüsten nicht vorgenommen hat.«
    »Welchen?«
    »Bei Opfer zwei und drei. Und lassen Sie mich Ihnen etwas Interessantes zeigen.« Er führte sie zu einem Tisch, an dem ein Sektionsdiener den Torso zunähte, aus dem er die Eingeweide entnommen hatte. »Die Kratzspuren sehen gräßlich aus – aber seltsamerweise kann ich keinerlei Anzeichen für einen Kampf feststellen. Außer hier bei Opfer Nummer drei.«
    Sie versammelten sich um die Leiche. Sie war klein, so klein wie ein Kind, und Caffery wußte, daß sie wegen dieses äußerlichen Merkmals bei den Überlegungen des Teams hintangestellt werden würde, gleichgültig, ob das nun rational war oder nicht.
    »Sie wog nicht mehr als vierzig Kilo«, sagte Krishnamurthi, und fügte Cafferys Gedanken lesend hinzu: »Aber sie war keine Jugendliche. Sondern einfach nur sehr klein. Vielleicht wurden deswegen ihre Brüste nicht verstümmelt.«
    »Die Haarfarbe?«
    »Gefärbtes Haar. Haar verwest sehr langsam. Dieser Aubergineton dürfte sich seit ihrem Tod nicht sehr verändert haben. Jetzt sehen Sie her.« Er zeigte mit seinem nassen, schwarzen
Finger auf ein Muster, das sich um die Handgelenke zog. »Es ist schwer von den normalen Verwesungsmerkmalen zu unterscheiden, aber das hier sind tatsächlich Spuren von Fesseln, die vor Eintritt des Todes angebracht waren. Und ein Knebel hier auf dem Gesicht. Auch an den Fußgelenken gibt es Spuren von Wundscheuern und Blutungen. Die anderen sind vollkommen reglos gestorben; sie sind einfach…« Er streckte die Hand aus und machte Fingerbewegungen, als klettere er einen Berg hinauf. »Sie sind einfach über den Rand gekippt. Ganz einfach so. Aber bei der hier – bei der war es anders.«
    »Anders?« Caffery sah auf. »Warum anders?«
    »Die hat gekämpft, meine Herren. Sie hat um ihr Leben gekämpft.«
    »Die anderen nicht?«
    »Nein.« Er hob die Hände. »Dazu komme ich noch. Hören Sie mir einfach in Ruhe zu, okay?« Er rollte einen Lampengalgen beiseite und ging zu dem Körper des Opfers hinüber, das als erstes gefunden wurde. »Also…«
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