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Der versoffene Papagei

Der versoffene Papagei

Titel: Der versoffene Papagei
Autoren: Alexander Borell
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inzwischen wieder vom Boden erhoben hatte und teilnahmslos neben der Tür an der Wand lehnte.
    »Gift!« lallte er. »Du und Gift! Probier’s doch, du Hure! Probier’s doch, mich zu vergiften!«
    Er stand so vor seiner Frau, daß sein massiger Körper sie verdeckte, aber ich sah, wie er seinen Arm hob, und ich hörte, wie er sie schlug. Ich hätte geschworen, daß er sie wirklich halb tot prügelte, so echt war das gespielt.
    Auf einmal jedoch ließ er von ihr ab, taumelte zwei Schritte zurück, und nun konnte ich sein Gesicht wieder sehen. Es war verzerrt, und die Augen schienen blutunterlaufen aus ihren Höhlen treten zu wollen. Mit einer kurzen Bewegung griff er sich an den Kragen, riß sein Hemd auf und schrie:
    »Luft! Ich brauche Luft! Mach das Fenster auf!«
    Er torkelte zum Fenster, drehte sich aber jäh wie ein Kreisel um sich selbst, und dann brüllte er. Er brüllte und stieß unartikulierte Laute aus!
    Nein, das konnte kein Spiel mehr sein! Das war echt! Hier kämpfte ein Mensch mit dem Tode!
    Ich schaute auf Mary Spencer. Fiel es ihr nicht auf, daß da etwas nicht stimmte?
    Sie lehnte totenblaß an der Wand. Sie zitterte, und ihre großen blauen Augen waren schreckgeweitet auf Murchison gerichtet.
    Nun erschien der Kopf des Polizisten im Fenster.
    »He!« rief er. »Wieder mal total blau, was? Hören Sie doch mit diesem verdammten Gebrüll auf!«
    Murchison stand wankend auf der Bühne. Er hob langsam die Hand in Richtung zu seiner Frau.
    »Sie... sie hat mich... vergiftet! Sie... hat’s gesagt! Sie hat gesagt, daß sie mich... vergiften will!«
    Der Rest ging in einem wüsten Gurgeln unter. Murchison brach zusammen. Ein Krampf schüttelte seinen Körper.
    Der Polizist kam zur Tür hereingestürzt. Er beugte sich über Murchison , kniete sich dann neben ihn. Murchison wälzte sich in konvulsivischen Zuckungen auf dem Boden.
    »Einen Arzt!« rief der Polizist. »Wir brauchen sofort einen Arzt!«
    Das konnte kein Theater mehr sein, das war echt!
    In diesem Augenblick waren nur zwei Menschen im Theater, die wußten, was passiert war — oder drei: Murchison , ich und der Mörder!
    »Holen Sie einen Arzt!« sagte ich zu dem Feuerwehrmann. »Los, Mann, es ist dringend!«
    »Ja — aber... das ist doch...«
    »Holen Sie einen Arzt!« fauchte ich ihn an. »Das ist kein Spiel!«
    Ich achtete nicht darauf, ob er wirklich ging; ich starrte nur auf den sterbenden Murchison .
    Mabels Bruder erschien auf der Bühne. Sekundenlang war es still, dann hörte man Murchison röcheln:
    »Vergiftet! Ich... ich bin... vergiftet... worden... der Whisky... der Whisky!« Und dann ein gellender Schrei: »Der Whisky!«
    Noch einmal bäumte er sich auf, dann rann es wie ein leises Schaudern über seinen Körper hin, und dann lag er still.
    Der Polizist erhob sich und ging auf Mary zu, die immer noch wie erstarrt dastand.
    »Haben Sie das gehört, Mrs. Perking ?« fragte er. »Haben Sie gehört, was Ihr Mann gesagt hat?«
    Sie gab ihm keine Antwort, sondern starrte nur auf den Toten.
    »He!« rief der Polizist und schüttelte sie am Arm. »Haben Sie gehört, was Ihr Mann gesagt hat? Er hat gesagt, Sie hätten ihm vergifteten Whisky gegeben!«
    Da hob Mary die Arme, preßte beide Hände auf die Ohren und schrie gellend auf.
    »Nein! Nein! Ich hab’s nicht getan! Nein! Nein!«
    In diesem Augenblick hörte ich den Donner des Applauses, und der Vorhang fiel.
    Ich stürzte auf die Bühne, wurde aber von irgend jemand zurückgerissen.
    »Wohl verrückt geworden!« zischte mir eine Stimme ins Ohr. »Der Vorhang, Mann!«
    Ich hatte den Vorhang vergessen, der wieder aufgegangen war. Der Beifall war so stark, wie ich ihn noch nie gehört hatte. Die Szene auf der Bühne blieb unverändert: Mabel lehnte an der Wand, der Polizist stand vor ihr, und Murchison lag regungslos auf dem Boden. Es wirkte grauenhaft echt.
    Viermal noch ging der Vorhang auf. Es war eine Ovation für Murchison .
    Endlich konnte ich auf die Bühne hinaus. Murchison lag halb auf der Seite. Seine Glieder waren merkwürdig verkrampft, und aus seinem halboffenen Mund war ein wenig weißlicher Speichel geflossen.
    Er drehte sich um, setzte sich auf, wischte sich Schminke und Schweiß aus dem Gesicht und lachte mich an.
    » Dolles Ding, was, Tonio?«
    »Bei Gott — ja«, sagte ich. »Ich habe den Feuerwehrmann um einen Arzt geschickt.«
    Er lachte sein altes, glucksendes Lachen und streckte mir die Hand hin. Während ich ihm auf die Beine half, fing die Bühne an, sich zu
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