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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene
Autoren: Franz Kafka
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Umstellungen und Neueinrichtungen der Fächer nach Belieben und Bedarf erreichen. Dünne Seitenwändchen senkten sich langsam und bildeten den Boden neu sich erhebender oder die Decke neu aufsteigender Fächer; schon nach einer Umdrehung hatte der Aufsatz ein ganz anderes Aussehen und alles gieng je nachdem man die Kurbel drehte langsam oder unsinnig rasch vor sich. Es war eine neueste Erfindung, erinnerte aber Karl sehr lebhaf an die Krippenspiele die zuhause auf dem Christmarkt den staunenden Kindern gezeigt wurden und auch Karl war of in seine Winterkleider eingepackt davor gestanden und hatte ununterbrochen die Kurbeldrehung, die ein alter Mann ausführte, mit den Wirkungen im Krippen- spiel verglichen, mit dem stockenden Vorwärtskommen der heiligen drei Könige, dem Aufglänzen des Sternes und dem befangenen Leben im heiligen Stall. Und im- mer war es ihm erschienen, als ob die Mutter die hinter ihm stand nicht genau genug alle Ereignisse verfolge, er hatte sie zu sich hingezogen, bis er sie an seinem Rücken fühlte, und hatte ihr solange mit lauten Ausrufen ver- borgenere Erscheinungen gezeigt, vielleicht ein Häs- chen, das vorn im Gras abwechselnd Männchen machte und sich dann wieder zum Lauf bereitete, bis die Mutter ihm den Mund zuhielt und wahrscheinlich in ihre frühe- re Unachtsamkeit verfiel. Der Tisch war freilich nicht dazu gemacht um an solche Dinge zu erinnern, aber in der Geschichte der Erfindungen bestand wohl ein ähn- lich undeutlicher Zusammenhang wie in Karls Erinne- rungen. Der Onkel war zum Unterschied von Karl mit diesem Schreibtisch durchaus nicht einverstanden, nur hatte er eben für Karl einen ordentlichen Schreibtisch kaufen wollen und solche Schreibtische waren jetzt sämtlich mit dieser Neueinrichtung versehn, deren Vor- zug nämlich auch darin bestand, bei älteren Schreibti- schen ohne große Kosten angebracht werden zu können. Immerhin unterließ der Onkel nicht, Karl zu raten, den Regulator möglichst gar nicht zu verwenden; um die Wirkung des Rates zu verstärken behauptete der Onkel, die Maschinerie sei sehr empfindlich, leicht zu verderben und die Wiederherstellung sehr kostspielig. Es war nicht schwer einzusehn, daß solche Bemerkungen nur Aus- flüchte waren, wenn man sich auch andererseits sagen mußte, daß der Regulator sehr leicht zu fixieren war, was der Onkel jedoch nicht tat.
       In den ersten Tagen, an denen selbstverständlich zwi- schen Karl und dem Onkel häufigere Aussprachen statt- gefunden hatten, hatte Karl auch erzählt, daß er zu hause wenig zwar, aber gern Klavier gespielt habe, was er aller- dings lediglich mit den Anfangskenntnissen hatte be- streiten können, die ihm die Mutter beigebracht hatte. Karl war sich dessen wohl bewußt, daß eine solche Er- zählung gleichzeitig die Bitte um ein Klavier war, aber er hatte sich schon genügend umgesehn, um zu wissen, daß der Onkel auf keine Weise zu sparen brauchte. Trotz- dem wurde ihm diese Bitte nicht gleich gewährt, aber etwa acht Tage später sagte der Onkel fast in der Form eines widerwilligen Eingeständnisses, das Klavier sei eben angelangt und Karl könne, wenn er wolle den Transport überwachen. Das war allerdings eine leichte Arbeit, aber dabei nicht einmal viel leichter als der Transport selbst, denn im Haus war ein eigener Möbel- aufzug, in welchem ohne Gedränge ein ganzer Möbel- wagen Platz finden konnte und in diesem Aufzug schwebte auch das Piano zu Karls Zimmer hinauf. Karl selbst hätte zwar in dem gleichen Aufzug mit dem Piano und den Transportarbeitern fahren können, aber da gleich daneben ein Personenaufzug zur Benützung frei- stand, fuhr er in diesem, hielt sich mittelst eines Hebels stets in gleicher Höhe mit dem andern Aufzug und be- trachtete unverwandt durch die Glaswände das schöne Instrument das jetzt sein Eigentum war. Als er es in seinem Zimmer hatte und die ersten Töne anschlug, be- kam er eine so närrische Freude, daß er statt weiterzu- spielen aufsprang und aus einiger Entfernung die Hände in den Hüfen das Klavier lieber anstaunte. Auch die Akustik des Zimmers war ausgezeichnet und sie trug dazu bei sein anfängliches kleines Unbehagen, in einem Eisenhause zu wohnen, gänzlich verschwinden zu las- sen. Tatsächlich merkte man auch im Zimmer, so eisen- mäßig das Gebäude von außen erschien, von eisernen Baubestandteilen nicht das geringste und niemand hätte auch nur eine Kleinigkeit in der Einrichtung aufzeigen können, welche die vollständigste
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