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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: Vince Flynn
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Öffentlichkeit zu gehen und zuzusehen, wie Amerika in Misstrauen und Chaos versank.
    Kennedy klopfte an die Tür und trat ein. Präsident Hayes saß an seinem privaten Esstisch. Er trug ein weißes Hemd mit Krawatte und eine Lesebrille auf der Nasenspitze. Wie immer hatte er seine vier Zeitungen vor sich liegen: New York Times, Washington Post, Washington Times und USA Today. Die Zeitungen lagen zweifach gefaltet auf dem Tisch, zwei links und zwei rechts. Carl, der Navy-Steward des Präsidenten, legte sie ihm jeden Morgen genau so hin.
    »Irene«, sagte der Präsident und stand langsam auf. »Ich glaube, das gehört zu den Dingen, die ich an dem Job am meisten vermissen werde.«
    Irene hörte, dass im Anrichteraum um die Ecke jemand hantierte. »Sie meinen Carls Kochkunst?«
    Der Präsident lachte. »Was ist so schwer an einer Schüssel Blaubeeren und einer halben Grapefruit?«
    Carl kam mit einem Teller in der Hand um die Ecke. »Ich kann ja nichts dafür, dass Sie zu einem Gesundheitsfanatiker geworden sind«, sagte er und stellte den Teller zwischen die perfekt gefalteten Zeitungen des Präsidenten. Dann kehrte er dem Staatsoberhaupt den Rücken zu und sagte in deutlich netterem Ton zu Irene Kennedy: »Wie geht es Ihnen, Direktor Kennedy?«
    »Gut, Carl, und Ihnen?«
    »Ich zähle die Minuten, bis er endlich weg ist«, antwortete der Philippiner und deutete mit einer Kopfbewegung auf Hayes.
    »Es wird nicht mehr dasselbe sein, nicht wahr?«
    »Ja, sehr traurig. Ich hatte mal einen Abszess an einem Zahn – den mussten sie mir dann ziehen. Ich war ungefähr genauso traurig, als er weg war.«
    Der Präsident lachte. Er liebte es, Carl aufzuziehen und von ihm aufgezogen zu werden.
    »Was möchten Sie heute essen?«, fragte Carl, zu Kennedy gewandt. »Und bitte verlangen Sie jetzt nicht die andere Hälfte von seiner Grapefruit.«
    Das war genau das, was sie vorgehabt hatte, doch sie wollte Carl nicht enttäuschen. »Wie wär’s mit einem Omelett?«
    »Sie bekommen das beste, das Sie je gegessen haben.«
    Carl verschwand wieder im Anrichteraum. Kennedy wandte sich dem Präsidenten zu und reichte ihm das PDB-Papier.
    Hayes nahm den Bericht entgegen und hielt ihn eine Sekunde schweigend in der Hand. »Ich habe im Leben nie irgendwelchen Dingen nachgetrauert. Und das hat sich nicht geändert, seit ich Parkinson habe.«
    »Das ist eine bewundernswerte Haltung, Sir.«
    »Nun, wie Carl schon gesagt hat, meine Zeit hier ist bald abgelaufen, darum möchte ich nicht vergessen, Ihnen zu sagen, wie sehr ich Sie schätze.«
    »Danke, Sir.«
    »Ich meine es wirklich so, Irene. Sie haben mir nur kluge und ausgewogene Ratschläge gegeben, und das in oft sehr schwierigen Zeiten. Es wird mir fehlen, jeden Morgen mit Ihnen zu frühstücken.« Hayes breitete die Arme aus und umarmte sie herzlich.
    »Ich werde Sie in Ohio besuchen«, sagte sie. »Vielleicht kann Carl mitkommen.«
    Lachend setzten sie sich wieder an den Tisch. Carl brachte Kennedy Tee und schenkte dem Präsidenten noch etwas Kaffee ein. Hayes überflog den Bericht, ohne jedoch ganz bei der Sache zu sein. Nachdem er nur noch etwas mehr als einen Tag im Amt war, würde er nicht mehr viel tun können. Außerdem hatte er etwas anderes auf dem Herzen.
    »Sie sind sich also sicher, dass diese Lügengeschichte in der Times das Werk von Ross und Garret ist?«
    »Ja«, antwortete Kennedy voller Überzeugung.
    »Er hat gestern angerufen.«
    »Wer?«, fragte Kennedy, obwohl sie es ohnehin wusste.
    »Ross. Er hat gesagt, er würde gern das Kriegsbeil zwischen uns begraben.«
    »Und – was halten Sie davon?«
    »Ich traue ihm nicht.«
    »Sie sollten Ihrem Instinkt folgen.«
    Hayes blickte mit einem besorgten Ausdruck aus dem Fenster.
    »Worüber möchte er mit Ihnen sprechen?«
    »Über irgendeine Begnadigung.« Hayes wandte sich wieder ihr zu. »Und über Sie.«
    Kennedy tat überrascht. »Über mich?«
    »Ja. Er sagt, er hätte sich in seinem Urteil über Sie geirrt.«
    »Das ist ja interessant.« Kennedy war über das Treffen im Bilde; sie wusste, dass Ross und Stokes um diese Begnadigung bitten würden, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass es auch um sie gehen würde.
    »Ja«, sagte Hayes skeptisch. »Ich glaube, er führt irgendwas im Schilde.«
    »Wahrscheinlich. Soll ich Sie begleiten?«
    Hayes überlegte kurz und nickte dann. »Ich will an meinem letzten Tag keine Spielchen mehr. Wenn er irgendetwas zu sagen hat, dann kann er es auch tun, wenn Sie dabei
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