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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung
Autoren: Unbekannter Autor
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meine Mutter, Clifford und Daniel zogen nach England. Erst dachte ich, sie würden mich mitnehmen, wir würden alle zusammen gehen.
    Doch als ich begriff, daß dem nicht so war, gewöhnte ich mich rasch an den Gedanken. Ich würde eben lernen müssen, wie man allein zurechtkommt. Ich konnte auf niemanden bauen, außer auf meine Großmutter, die jeden Freitagnachmittag wie ein Wachtposten am Tor des Internats auf mich wartete.
    Als ich 1994 meine erste Firma, die Inter-Ker, gründete, kehrte mein Bruder nach Barcelona zurück. Er wollte unbedingt weg von unserer Mutter, zog bei mir ein und begann an der Universidad Autónoma zu studieren: Literaturwissenschaft und Anthropologie. Bis er sich mit einem »Ich ziehe mit Ona zusammen« davonmachte.
    Obwohl er eigentlich genauso introvertiert war wie ich, wurde Daniel allgemein mehr geschätzt, weil er freundlicher und umgänglicher war. Er redete nicht viel, aber wenn, dann hingen alle an seinen Lippen, als hätten sie nie etwas Treffenderes oder Interessanteres gehört. Und wie sein Sohn lächelte er oft. Ich dagegen war eher abweisend und maulfaul, unfähig, ein normales Gespräch mit jemandem zu führen, mit dem ich nicht schon lange vertraut war. Sicher, ich hatte Freunde (wohl weniger Freunde als nahe Bekannte), und wegen meiner Geschäfte unterhielt ich gute Kontakte zu Leuten in aller Welt. Die waren aber ebenso verschroben wie ich, teilten sich ungern mit - oder nur auf dem Umweg über eine Tastatur -, verbrachten ihr Leben fast ausschließlich in künstlichem Licht, und wenn sie nicht vor dem Rechner saßen, widmeten sie sich so eigenartigen Hobbys wie unterirdischem Sightseeing, Rollenspielen, dem Sammeln exotischer Tiere oder dem Studium von Chaostheorie und Fraktalen, die ihnen selbstverständlich wichtiger waren als jede lebende Person.
    »... und hat immer nur gesagt, er sei tot und wolle beerdigt werden.« Ona weinte jetzt.
    Mit einem Schlag war ich zurück in der Wirklichkeit, und das Neonlicht blendete mich, als wäre ich die ganze Zeit mit geschlossenen Augen neben Ona hergelaufen. Ich hatte kein Wort von dem mitbekommen, was meine Schwägerin gesagt hatte. Die blauen Augen meines Neffen starrten mich von der Schulter seiner Mutter aus aufmerksam an, unter dem Rand des Schnullers drang ein dünner Speichelfaden aus dem verschlafenen Lächeln. Wahrscheinlich sah mein Neffe weniger mich als vielmehr den kleinen, funkelnden Ring in meinem Ohrläppchen an. Da sein Vater den gleichen trug, war das für ihn ein vertrautes Ding, das er mit uns verband.
    »Hi, Dani!« Ich strich ihm mit dem Finger über die Wange. Sein Lächeln wurde breiter, und der Sabber rann ungehindert auf Onas Pulli.
    »Jetzt ist er wach geworden!« seufzte Ona und blieb mitten im Flur stehen.
    »Marc und Lola haben angeboten, ihn heute nacht zu nehmen. Ist das okay für dich?«
    Ona sah mich unendlich erleichtert an. Ihr hellbraunes, sehr kurzes Haar trug sie wie immer kunstvoll verwuschelt. Eine breite, orangerot gefärbte Strähne schmiegte sich an ihre rechte Wange und betonte die Sommersprossen und ihren blassen Teint. An diesem Abend war Ona allerdings nicht die frische und auffallend hübsche junge Frau, die ich kannte. Sie wirkte eher wie ein kleines Mädchen, das eine Mutter braucht.
    »Und ob das okay für mich ist!« Sie faßte Dani mit einem energischen Schwung unter den Achseln und hielt ihn auf Augenhöhe vor sich. »Du darfst heute bei Marc und Lola schlafen, mein Schatz, ja ...?« Sie strahlte, und der Kleine, der nicht ahnte, daß er manipuliert wurde, lächelte voller Wonne zurück.
    Zwar hingen in den Krankenhausfluren überall Schilder, die das Telefonieren mit dem Handy untersagten, aber offensichtlich wußte hier niemand, am wenigsten das Krankenhauspersonal, was die durchgestrichenen Telefone bedeuten sollten. Also kümmerte ich mich nicht weiter darum, holte mein Handy aus der Tasche und rief im >100< an. Jabba und Proxi waren gerade im Aufbruch. Mein Neffe, der eine besondere Schwäche für diese kleinen Geräte besaß, die sich die Leute ans Gesicht hielten, bevor sie drauflosquatschten, streckte blitzschnell die Hand danach aus. Ich konnte gerade noch ausweichen. Prompt fing er laut an zu brüllen. Ein Krankenhaus war wirklich nicht der geeignete Ort für ein kleines Kind. Zum einen konnten einem die Kranken leid tun bei dem Geschrei. Dazu war die Luft hier gesättigt mit den Keimen der dubiosesten Krankheiten. Jedenfalls kam es mir so vor.
    Mariona hatte sich auf
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