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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung
Autoren: Unbekannter Autor
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blieb, wo sie war, und ich ging um das Bett und setzte mich meiner Großmutter gegenüber auf die Kante.
    »Wie fühlst du dich?«
    Daniel verzog das Gesicht, als würde er von tausend Nadeln gestochen, stützte die Arme auf und stemmte sich langsam hoch, bis er sich ans Kopfende lehnen konnte und mit mir auf einer Höhe war.
    »Durcheinander, würde ich sagen.« Seine Stimme klang schon etwas klarer. »Eben habe ich doch noch an meinem Schreibtisch gesessen und gearbeitet, und jetzt sagt ihr, ich sei krank gewesen. Ich begreife gar nichts mehr.«
    »Woran hast du gearbeitet?«
    Er zog die Stirn in Falten, versuchte sich zu erinnern, und plötzlich schien ihm ein Licht aufzugehen. Furcht spiegelte sich auf seinem Gesicht, und sein Blick glitt über meine Schulter hinweg zu Marta.
    »Wieso bist du hier, Marta?« fragte er verzagt.
    Doch ehe sie antworten konnte, legte ich ihm eine Hand auf den Arm, damit er mich ansah.
    »Du bist drei Monate krank gewesen, Daniel, wegen eines Fluchs der Aymara«, sagte ich ernst und eindringlich. Er zuckte zusammen. »Du weißt, was ich meine. Das müssen wir dir wohl nicht erklären. Marta ist hergekommen, um dich zu heilen. Sie hat dich aufgeweckt. Es war nicht ganz einfach, das Mittel zu finden. In ein paar Tagen erzähle ich dir die ganze Geschichte. Jetzt mußt du dich erst einmal ausruhen und wieder gesund werden. Wir reden, wenn es dir bessergeht. Einverstanden?«
    Er nickte langsam, aber der erschrockene Ausdruck blieb. Ich tätschelte ihm beruhigend den Arm, stand auf und trat zu Marta, die Daniel schweigend betrachtete.
    »Wir gehen jetzt«, sagte ich. »Bald hast du sie alle hier: Ona, Dani, Mama und deinen Vater. Sie sind ein bißchen rausgegangen. Doch wenn Oma sie anruft und ihnen erzählt, daß du aufgewacht bist, sind sie sofort zurück. Ach, noch etwas! Sag ihnen nichts von dem Fluch und den Aymara, einverstanden?«
    Mein Bruder senkte den Blick. »Einverstanden«, sagte er leise.
    »Mach’s gut, Daniel«, verabschiedete sich Marta. »Wir sehen uns.«
    »Wann immer du willst.«
    Es wäre nicht gut für ihn gewesen, wären wir länger geblieben. Unsere Anwesenheit konnte ihm jetzt, da er wußte, was geschehen war, nur schaden. Er wirkte gehetzt und fahrig. Wenn es ihm besserginge, würden wir noch genug Zeit zum Reden haben. Mit einem Kuß verabschiedete ich mich von meiner Großmutter, die uns einen verständnisvollen Blick zuwarf. Ich nahm Marta bei der Hand und verließ mit ihr das Zimmer.
    »Es hat funktioniert«, sagte sie lächelnd, die Brauen so weit hochgezogen, als könnte sie es noch immer nicht glauben.
    »Es hat funktioniert.« Ich fühlte mich rundum zufrieden.
    Ja, es hatte funktioniert. Mein Bruder durfte sich jetzt auf eine endlose Kette medizinischer Untersuchungen gefaßt machen und, was schlimmer war, auf die eifrige Pflege unserer Mutter. Alle würden sich über seine Heilung wundern, genau wie sie über seine plötzliche Erkrankung gerätselt hatten. Wir aber kannten die Wahrheit, und diese Wahrheit lag in der Macht der Worte, in der einzigartigen Fähigkeit, durch Laute den Geist zu programmieren. Es lag viel Arbeit vor uns, eine fesselnde Arbeit: über das Gehirn, über die Sintflut, die Yatiri, die alten Legenden von der Erschaffung der Welt und der Menschen . Doch welche neuen Projekte wir auch angehen mochten, wie sehr wir selbst uns noch ändern mußten und welche Urwälder es zu erforschen galt, das wichtigste war die eine Erkenntnis: Unsere neuesten Technologien und jüngsten wissenschaftlichen Entdeckungen waren in rätselhafter Weise mit der Magie aus vergangenen Zeiten und den Mythen der alten Kulturen verbunden - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geheimnisvoll ineinander verwoben.
    »Du warst nicht gerade nett zu Daniel«, sagte Marta, als wir aus dem Aufzug traten.
    »Ich war so nett, wie ich sein konnte. Ich hätte es nicht über mich gebracht, mich anders zu verhalten.«
    So war es. Nichts würde mehr sein wie früher. Und das war gut. Ich mußte daran denken, wie ich das erste Mal in Martas Büro an der Uni gestanden hatte. Wie reserviert sie gewesen war und wie sie lachen mußte, als ich die runzlige Mumie und die baumelnden Schädel entdeckte. Ob meine Hackerstrategie schon wirkte? Würde sie mit mir kommen? Oder Gras über alles wachsen lassen .?
    »So, Marta.« Ich schloß die Haustür hinter uns. »Daniel hätten wir geheilt. Jetzt .«
    »Was hast du vor?«
    »Hättest du Lust, den >100< zu sehen?«
Anmerkungen
    1
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