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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung
Autoren: Unbekannter Autor
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Aber die Miramar-Studios lagen nun einmal auf einem der Berge von Barcelona, dem Montjüïc, und damit deutlich über dem Niveau der Stadt. Wie fast alle Schächte dieser Art war auch dieser zu einem Viertel von Stromkabeln durchzogen, deren Verankerungen im Beton wir für den Abstieg nutzten. Allerdings mußten wir Isolationshandschuhe tragen, die unbequem waren und einem das Klettern erschwerten.
    Endlich stießen wir auf den Versorgungskanal, der die Zona Franca mit der Plaça de Catalunya verbindet. Was einem in diesem Schattenreich wirklich eine Gänsehaut verursacht, sind nicht die Schlangen, die Ratten oder die unheimlichen Typen, denen man dort begegnen kann. Es sind vielmehr die Totenstille, die völlige Dunkelheit und der Gestank nach Fäulnis, die einem die Kehle zuschnüren. Dort unten, mitten im Nirgendwo, wird auch das leiseste Geräusch verzerrt und hallt endlos nach. Wo man auch hinblickt, alles sieht gleich aus. Zwei Jahre zuvor hatte sich mein Team in Paris in den eisigen mittelalterlichen Kanälen verlaufen, die das Ostufer der Seine durchziehen. Sieben Stunden waren wir umhergeirrt, obwohl wir einen Typ von der Französischen Gruppe für unterirdisches Sightseeing dabeihatten, der sich angeblich in den Gedärmen der Stadt besser auskannte als in seiner Wohnung. So etwas würde mir nicht noch einmal passieren. Die Erfahrung reichte, um von da an alle nur erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.
    Durch einen der Blindschächte des Kanalsystems stiegen wir noch etwas weiter in die Tiefe und bogen dann auf der Höhe der Calle del Hospital in den Sammelkanal des Opernhauses ein -wo mein tag genau neben der schmalen Metalleiter prangt, die in den alten Heizkesselraum führt. Von dort konnten wir durch eine enge, rostzerfressene Luke in das Netz der Metrotunnel schlüpfen. Nur wenige wußten noch, daß Mitte der siebziger Jahre ein Fußgängertunnel zwischen den Stationen Liceu und Urquinaona gebaut worden war. Er sollte die Linien 3 und 4 verbinden, um den labyrinthischen, vor Menschen wimmelnden Bahnhof an der Plaça de Catalunya zu entlasten. Dreißig Jahre später wurde diese Verbindung nur noch von uns und den paar Nachtschattengewächsen benutzt, die in diesem dreckigen und ungesunden Wurmloch ihren festen Wohnsitz hatten: stumme, alterslose Geschöpfe, darunter ziemlich bizarre Exemplare.
    In der Mitte dieses Stollens, in dem es nach Urin und Schlimmerem stank, gelangte man durch eine rostige Metalltür in ein tieferliegendes Netz von Gängen. Wir kletterten die Eisenleiter hinunter und hielten im Korridor vor uns geradewegs auf die Mündung des Metrotunnels zu. Im Gänsemarsch liefen wir etwa hundert Meter auf der rechten Seite neben den Schienen her, angestrengt lauschend, ob ein Zug kam (was gar nicht so unwahrscheinlich war, immerhin fuhr hier die Linie 4). Schließlich erreichten wir eine schmale Tür, die in der rußgeschwärzten Wand kaum auszumachen war. Ich fischte den Schlüssel aus meiner Jeanstasche, befreite die Tür vom Vorhängeschloß und öffnete sie. Sobald wir drin waren, schob Jabba die Eisenriegel vor, die die Tür von außen uneinnehmbar machten. Nun klaffte vor unseren Füßen ein Loch, dessen Rand mit einem soliden Metallring eingefaßt war, und gab den Blick auf den Stollen fünfzehn Meter tiefer frei, in den wir hinabmußten, das letzte Vergnügen bei all unseren Streifzügen. Wir schnallten die Hüftgurte um, hakten die Karabiner ein und schossen nebeneinander an den fest installierten Seilen in die Tiefe. Für den umgekehrten Weg hatten wir natürlich eine Leiter.
    Endlich setzten wir die Füße auf den Boden des alten, verlassenen Tunnels, in dem unser >Serie 100< stand. Niemand außer uns dreien wußte von der Existenz dieses Stollens. Er war Teil des ältesten Schienennetzes unter der Stadt, gebaut kurz nach 1925 für die Compañía del Gran Metro de Barcelona. Der Tunnel hatte die Form eines Ypsilons und gabelte sich genau unterhalb der Calle Aragó, in der ich wohnte und wo meine Software-Firma Ker-Central ihren Sitz hatte. Froh über die Brise, die durch Luftschächte ins Innere des Gewölbes drang, verstauten wir unsere Kletterausrüstung in den Rucksäcken und schlenderten entspannt durch die Höhle, die breit genug für zwei Sattelschlepper gewesen wäre. Um uns herum war es stockfinster. Hier war es immer Nacht, und es war immer Herbst, aber wir fühlten uns sicher auf diesem bekannten Terrain.
    Fünfhundert Meter weiter begrüßte uns ein riesiges
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