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Der Verlobte

Der Verlobte

Titel: Der Verlobte
Autoren: Christine Sylvester
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sein?«, fragte der Großvater seine Enkelin und verabreichte Tillmann unvermittelt einen kräftigen Schlag auf die Schulter. »Überleg dir gut, was du tust, mein Junge!«
    Ehe Tillmann eine treffende Replik formulieren konnte, drückte ihm eine kleine pummelige Frau ein Glas mit eingelegter Olive in die Hand. »Martini«, sagte sie. »Stößchen!« Sie kicherte und ihr Gesichtsausdruck glich stark dem von Lilly, wenn sie lachte. »Ich bin –«
    »Betrunken, meine liebe Louise, du bist betrunken«, unterbrach sie ein eleganter Herr mittleren Alters. »Schön, Sie kennenzulernen, junger Freund. Ich bin Lillys Vater, und das ist meine Frau, also Lillys Mutter.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf die Frau, die Tillmann das Glas Martini in die Hand gedrückt hatte. »Louise, nun starr ihn doch nicht so an!«
    »Warum?«, rief sie mit weit aufgerissenen Augen. »Der ist doch ganz lecker! Hast du gut gewählt, mein Mädchen! Ein flotter Kerl.« Sie tätschelte Tillmann den Arm. »Nenn mich einfach Mama-Lou, mein Süßer, und hör nicht auf den alten Fritz!«
    Lilly verdrehte die Augen. »Da ist ja Tante Lilo!«, rief sie plötzlich und zog eine Frau undefinierbaren Alters zu sich herüber. »Lilo, das ist Till! Ich habe dir doch von ihm erzählt …«
    Tillmann runzelte die Stirn. Sie hatte also von ihm erzählt. Was hatte sie da wohl alles ausgeplaudert? Hoffentlich war sie nicht allzu konkret geworden.
    »Quel bel homme«, sagte Tante Lilo und beschrieb einen Halbkreis um den jungen Mann. Dann spitzte sie ihre grell geschminkten Lippen zum Küsschen auf die Wange: erst links, dann rechts, dann wieder links.
    Tillmann wurde ganz schwindlig von der Küsserei. Nur mühsam behielt er seinen Martini im Glas und wollte sich gerade verstohlen die befürchteten Lippenstiftspuren aus dem Gesicht wischen, als sich ein weiteres grell geschminktes Gesicht näherte und wild drauflosküsste.
    »Elisabeth!«, rief Tante Lilo empört. »Der gehört Lilly!«
    Elisabeth bedachte ihn mit einem theatralischen Augenaufschlag. »Och, der wäre auch was für mich …«
    »Sie meint das nicht so«, erklärte Tante Lilo.
    »Wie wahr, wie wahr«, kreischte Lillys Mutter und lachte laut. »Noch einen Martini? Oder doch lieber etwas Härteres?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten rauschte sie ab und Lilly zog Tillmann schnell mit sich in eine andere Ecke des Raumes. »Denk an unsere Abmachung«, raunte sie ihm zu, um dann offiziell die Stimme zu erheben: »Und das ist Onkel Leopold, ein Bruder meiner Mutter.«
    Der Onkel küsste Tillmann zum Glück nicht, sondern lachte nur. »Freut mich, mein Junge. Tillmann, richtig?«
    »Sagen Sie ruhig Till«, antwortete er erleichtert, reichte dem Onkel die Hand und gönnte sich einen großen Schluck Martini.
    »Gerne.« Onkel Leopold deutete auf eine etwas abseits stehende Frau. »Das ist Veronika. Sie ist quasi eine Kollegin von Ihnen.« Als Tillmann verwirrt dreinblickte, fuhr Onkel Leopold fort: »Sie sind doch Lehrer, oder? Meine Mutter, also Lillys Großmutter, sagte, Sie seien Lehrer.«
    »Stimmt.« Tillmann nickte schnell und vermied es, sein Gegenüber direkt anzusehen. »Und Ihre Frau –«
    »Nein, nein«, beeilte sich Onkel Leopold zu sagen. »Meine Frau ist verstorben.«
    »Oh, das tut mir leid«, stammelte Tillmann. Was für ein unangenehmes Fettnäpfchen! Lilly hätte ihn eindeutig besser briefen müssen.
    »Schon in Ordnung, mein Junge«, sagte Onkel Leopold nachsichtig. »Sie ist schon seit Jahren tot«, ergänzte er dann, als mache das den Verlust seiner Frau weniger tragisch. »Veronika, komm doch mal!«
    Mit sauertöpfischer Miene näherte sich die Frau, deren Körperhaltung Tillmann tatsächlich an die eine oder andere typische Lehrerfigur seiner Jugend erinnerte. Sie hatte diese unangenehme Ausstrahlung zwischen herablassender Arroganz und aufgesetzter Autorität. Vermutlich waren noch immer viele solcher bedauernswerten Gestalten in den Lehrerzimmern der Schulen versammelt.
    »Das ist Veronika«, erklärte Onkel Leopold. »Meine Tochter.«
    »Oh«, sagte Tillmann blöde. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
    »Bemühen Sie sich nicht«, entgegnete Veronika tonlos. »Auch ich möchte dieses unselige Wochenende nur so schnell wie möglich hinter mich bringen. Hallo Lilly. Glückwunsch zum Mann an deiner Seite. Hat ja recht lange gedauert.« Sie nickte beiden gemessen zu und verzog sich wieder.
    »Sie ist ein bisschen menschenscheu.« Onkel Leopold zuckte entschuldigend die Achseln.
    In
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