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Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand
Autoren: Julie Peters
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Reginald kühl.
    Es klang in ihren Ohren, als habe sie sich ihm die ganze Zeit nur aufgedrängt. Als sei sie ihm lästig. Sie sagte das, und er widersprach. Ein Wort gab das nächste. Es war das erste Mal, dass sie stritten. Patrick saß auf der Rückbank. Das harmoniesüchtige Kind schnallte sich los und rutschte zwischen den Vordersitzen nach vorne, um sie zu beruhigen. Sie machte sich unwillig von ihm los, als Patrick linkisch ihren Arm streichelte. Der entgegenkommende Lastwagen zwang sie zum Ausweichen, sie riss das Lenkrad herum, zu spät, der Laster touchierte den Wagen, und sie überschlugen sich mehrmals.
    Im ersten Moment begriff sie nicht, was passiert war. Sie hingen über Kopf. Das Auto lag auf dem Dach, und sie tastete nach Reginalds Hand. Er drückte sie, und Susanne glaubte, alles wäre gut. Sie glaubte sogar noch daran, als die Feuerwehr kam und sie zu zweit aus dem Autowrack schnitt. Einer der Männer fragte sie, ob noch jemand im Auto gewesen sei, und da nickte sie, lächelte und sagte leise Patricks Namen.
    Erst im Krankenhaus erfuhr sie, was passiert war. Reginald erzählte es ihr. Er weinte. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Und danach erlebte sie ihn nicht mehr allzu oft, denn er wollte nichts mehr mit ihr zu schaffen haben.
    Denn jetzt flog alles auf. Was David nach ihrer Trennung für sich behalten hatte, was die Familie verschwieg, war nach dem Unfall nicht lange in diesem Kreis geblieben. Hinter vorgehaltener Hand tuschelten sie alle. Keiner ließ mehr ein gutes Haar an Susanne. Jeder wusste es besser, für alle war sie das schwarze Schaf, das all das Unglück über die Familie gebracht hatte.
    Nur Amy war ihr geblieben, als Einzige. Und dieses Kind wollte sie sich nicht nehmen lassen. Sobald man sie aus dem Krankenhaus entließ, plante sie ihre Rückkehr nach Deutschland. Ihren Eltern log sie vor, nach dem Tod Patricks sei ihre Ehe zerbrochen, sie schob außerdem Davids Affäre vor, die sie als Reaktion auf den Tod des Kindes schilderte. Kein Wort von Reginald. Sie schob alle Schuld so weit von sich, bis sie selbst glaubte, was sie da erzählte.
    In Deutschland bekam sie einen Job, ihr Vater besorgte die Wohnung. Amys Erinnerung an den Bruder verblasste. Susanne versuchte nicht, sie wachzuhalten, sondern ließ zu, dass Amy alles vergaß. Sie rief sie nun Amelie.
    Amy fragte nicht, was vor der Zeit in Berlin gewesen war. Diese Zeit schien für sie nicht mehr zu existieren. Erst spät begann sie, nach ihrem Vater zu fragen, und auch da war sie nicht besonders hartnäckig.
    Susanne wiegte sich in Sicherheit. Sie glaubte, alles sei gut, sie würde nicht noch einmal mit der Vergangenheit konfrontiert werden. Amelie wuchs zu einer selbstbewussten jungen Frau heran, sie studierte und promovierte, lernte Michael kennen und war mit ihm glücklich. Alles richtig gemacht, glaubte Susanne. Aber so einfach war es nun einmal nicht.
    Und was sie im Grunde all die Jahre gewusst hatte – dass nämlich Amelie ein Recht auf die Wahrheit, ihre Herkunft, ihre Familie hatte –, überraschte sie, als es schließlich so weit war. Sie wehrte sich dagegen, mit körperlichen Mitteln und auch mit einer mütterlichen Strenge, die sie als erzieherische Maßnahme früher nie eingesetzt hatte und von der sie nicht mal gewusst hatte, dass sie sie besaß.
    Denn auch wenn die Kinder erwachsen wurden, blieben sie Kinder. Mochten sie sich noch so erwachsen fühlen.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 26
    A melie wusste gar nicht, wie sie hergekommen war. Irgendwann stand sie vor Michaels Haus, dem gemeinsamen Haus, ihrem Zuhause. Im Wohnzimmer brannte Licht.
    Er war erstaunt, sie zu sehen. «Wieso klingelst du?», fragte er, und sie zuckte mit den Schultern. Zu müde, um noch irgendwelche Worte zu finden. Sie wusste nur, dass sie heute Nacht nicht zu Diana konnte. Sie wollte bei ihm sein. Reden. Eine Entscheidung treffen. Ihr weiteres Leben planen.
    «Können wir reden?»
    «Hast du mal auf die Uhr geschaut?» Doch er folgte ihr ins Wohnzimmer.
    «Ich hab noch Licht gesehen.»
    «Ich schlafe nicht viel.»
    Auf dem Couchtisch eine Flasche Weißwein und ein Glas. Daneben ein Schälchen Erdnüsse und die Tageszeitung. Michaels Art, es sich abends gemütlich zu machen. So hatte er es getan, seit Amelie ihn kannte. Sein Gleichmaß, sein Rhythmus – das alles hatte sie angezogen, weil ihr Leben mit der unbeständigen Mutter und der eigenen Unsicherheit und Suche immer von einem Auf und Ab geprägt war. Bei ihm hatte sie
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