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Der verflixte Bahnhofsbau

Der verflixte Bahnhofsbau

Titel: Der verflixte Bahnhofsbau
Autoren: Werner Schrader
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vergeht die Zeit viel zu schnell. Schon steht die Sonne tief am Himmel, schon stoßen die ersten Betrunkenen statt mit den Biergläsern mit den Köpfen zusammen, schon bringen die Mütter ihre kleinen Kinder zu Bett, und schon bereitet der Pastor sein Feuerwerk vor.
    Da tritt Tatta Knobel an das Rednerpult, bittet die Leute um Gehör und singt sein neuestes Spottlied auf Henner Blau:
     
Ihr Hasenkrüger, hört mich an,
was ich euch heute singen kann
von Henner Blau, dem schlauen.
Er stahl bei Nacht im Mondenschein
auf seiner Karre Stein um Stein,
um sich ein Haus zu bauen.
 
Doch wißt ihr alle nur zu gut,
daß Tattas Auge niemals ruht
und ihn gar bald entdeckte.
Ich setzte ihm mit Eifer nach,
bis daß er in den Keller brach,
wo er sich dann versteckte.
 
Wir brachten ihn ins Spritzenhaus.
Da ruht er nun vom Stehlen aus
und muß im Finstern büßen.
Die festen Mauern halten stand
selbst seiner starken Räuberhand
und seinen plumpen Füßen.
     
    Die Leute klatschen und winken Tatta zu. Sie sind stolz auf ihren Polizisten, der mit dem Mund genausogut umgehen kann wie mit seiner Pistole. Tatta verbeugt sich mehrmals und verläßt dann die Rednerstiege.
    Da steht plötzlich, keiner sah ihn kommen, Henner Blau hinter dem Pult. Manch bravem Hasenkrüger fällt bei seinem Anblick das volle Bierglas aus der Hand. Der Räuber aber läßt den Leuten keine Zeit für irgendwelche Gedanken oder Taten. Er beginnt mit seiner tiefen, rostigen Stimme zu singen, daß die Gläser klirren:
     
Die festen Mauern, hahaha,
die liegen umgefallen da,
kein Balken will mehr tragen.
Das Spritzenhaus ist alt und schlecht,
doch für euch Esel grade recht,
das muß ich einmal sagen.
 
Wer gab euch den Gedanken ein,
daß ich euch stehle Stein um Stein
bei Nacht und noch bei Nebel?
Hält Tatta Knobel denn nicht
Wacht in Hasenkrug bei Tag und Nacht
mit seinem krummen Säbel?
 
Ihr habt vielmehr von mir geklaut
die Steine, die ich gern verbaut
zu einem festen Hause.
Denn meine Höhle dort im Wald
ist zugig, eng und alt und kalt.
Ich brauch 'ne neue Klause.

     
O glaubt mir doch bei meiner Ehr,
ich schleppte alle Steine her
vom Spukhaus bei der Fichte.
Dort brach ich in den Keller ein,
am Kopf traf mich ein harter Stein.
Welch schmerzliche Geschichte!
 
Ihr halfet freilich mir heraus,
doch sperrtet mich ins Spritzenhaus
zu altem Schrott und Eisen.
Das ist gemein und ungerecht.
Ein Räuber bin ich, doch nicht schlecht,
das kann ich euch beweisen.
     
    Als Henner Blau mit seinem Lied beginnt, sind die Leute auf der Festwiese entsetzt und beunruhigt. Aber bald hören sie aufmerksam zu und merkwürdigerweise ganz ohne Furcht. Die Stimme ist ihnen ja bekannt und vertraut. Jeder Hasenkrüger kennt sie von Henner Blaus abendlichen Gesängen am Marktbrunnen. Selbst Tatta Knobel läßt sich von ihr einfangen. Statt einzugreifen mit Säbel und Pistole, grübeit er über ein anderes Gedicht nach, mit dem er Henner Blau auf seine Verse antworten könne. Und so geschieht es, daß der Räuber ungestört zu Ende singen und dann unbemerkt verschwinden kann.
    Als die klugen Männer begreifen, was sich da vor ihren Augen und Ohren abgespielt hat, ist er nirgendsmehr zu entdecken. Da entsteht ein wildes Gelaufe und Gerufe. Auf! Ihm nach! Haltet den Dieb! Männer, sperrt den Platz ab! Er muß noch ganz in der Nähe sein! Wo ist der Hund aus England? Such, Ebax, such!
    So schwirrt es über die bunte Wiese. Manches Glas und sogar ein Faß werden im Gedränge umgestoßen. Der dicke Fidi bemüht sich aufgeregt, größeren Schaden abzuwenden.
    Einige Hasenkrüger aber sind durch Henner Blaus Lied nachdenklich geworden. Sie bekommen Zweifel an seiner Schuld und rufen: „Laßt ihn laufen! Erst nachprüfen, ob er die Wahrheit gesagt hat! Ein armer Kerl ist er, jawohl! Es ist eine Gemeinheit, daß man ihn auch noch bestiehlt!“
    Das Durcheinander ist wirklich groß.
    In der Mitte des Platzes steht verlassen das Rednerpult, daneben Jochen Krumms Orgel und auf der andern Seite der Handwagen mit den Knallkörpern vom Herrn Pastor. Kein Mensch kümmert sich mehr darum.
    Keiner?
    Das stimmt nicht! Einer beobachtet ihn schon eine Weile mit größter Aufmerksamkeit, und das ist der kleine Fidi. Als er sieht, daß niemand auf ihn achtet, geht er frech an den Wagen heran und nimmt einige der Raketen heraus. Er wiegt sie in der Hand und vergleicht ihre Größe miteinander. Nun scheint er die längste gefunden zu haben. Er steckt den Stiel in die Erde, so daß die Rakete nach
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