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Der Verdacht

Der Verdacht

Titel: Der Verdacht
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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zugelegt habe, den man kaum so leicht finden dürfte.»
    In der Türe stand Emmenberger.

Die Uhr
    D er Arzt schloß die Türe.
    Er war nicht im Berufsmantel, wie ihn der Kommissär zuerst gesehen hatte, sondern in einem dunklen, gestreiften Kleid mit weißer Krawatte auf einem silbergrauen Hemd, eine sorgfältig hergerichtete Erscheinung, fast geckenhaft, um so mehr, da er dicke gelbe Lederhandschuhe trug, als fürchte er, sich zu beschmutzen.
    «Da wären wir Berner also einmal unter uns», sagte Emmenberger und machte vor dem hilflosen, skelettartigen Kranken eine leichte, mehr höfliche als ironische Verbeugung. Dann ergriff er einen Stuhl, den er hinter dem zurückgeschlagenen Vorhang hervorholte und den Bärlach aus diesem Grunde nicht hatte sehen können. Der Arzt setzte sich an des Alten Bett, indem er die Stuhllehne gegen den Kommissär kehrte, so daß er sie an seine Brust pressen und die verschränkten Arme darauflegen konnte.
    Der Alte hatte sich wieder gefaßt. Sorgfältig griff er nach der Zeitung, die er zusammenfaltete und auf den Nachttisch legte, dann verschränkte er nach alter Gewohnheit seine Arme hinter dem Kopf.
    «Sie haben den armen Fortschig töten lassen», sagte Bärlach.
    «Wenn einer mit so pathetischer Feder ein Todesurteil niederschreibt, gehört ihm wohl ein Denkzettel, will mir scheinen», antwortete der andere mit ebenso sachlicher Stimme. «Sogar die Schriftstellerei wird heute wieder etwas Gefährliches, und das tut ihr nur gut.»
    «Was wollen Sie von mir?» fragte der Kommissär.
    Emmenberger lachte. «Es ist wohl vor allem an mir zu fragen: Was wollen Sie von mir.»
    «Das wissen Sie genau», entgegnete der Kommissär.
    «Gewiß», antwortete der Arzt. «Das weiß ich genau. Und so werden Sie auch genau wissen, was ich von Ihnen will.»
    Emmenberger stand auf und schritt zur Wand, die er einen Augenblick lang betrachtete, dem Kommissär den Rücken zukehrend. Irgendwo mußte er nun einen Knopf oder einen Hebel niedergedrückt haben; denn die Wand mit den tanzenden Männern und Frauen glitt lautlos auseinander wie eine Flügeltüre. Hinter ihr wurde ein weiter Raum mit Glasschränken sichtbar, die chirurgische Instrumente enthielten, blitzende Messer und Scheren in Metallbehältern, Wattebüschel, Spritzen in milchigen Flüssigkeiten, Flaschen und eine dünne rote Ledermaske, alles säuberlich und ordentlich nebeneinander. In der Mitte des nun erweiterten Raumes stand ein Operationstisch. Gleichzeitig aber senkte sich von oben langsam und bedrohlich ein schwerer Metallschirm über das Fenster. Das Zimmer flammte auf, denn in die Decke waren, zwischen den Fugen der Spiegel, Neonröhren gelegt, wie der Alte erst jetzt bemerkte, und über den Schränken hing im blauen Licht eine große, runde, grünlich leuchtende Scheibe, eine Uhr.
    «Sie haben die Absicht, mich ohne Narkose zu operieren», flüsterte der Alte.
    Emmenberger antwortete nicht.
    «Da ich ein schwacher, alter Mensch bin, werde ich schreien, fürchte ich», fuhr der Kommissär fort. «Ich denke nicht, daß Sie in mir ein tapferes Opfer finden werden.»
    Auch darauf gab der Arzt keine Antwort. «Sehen Sie die Uhr?» fragte er vielmehr.
    «Ich sehe sie», sagte Bärlach.
    «Sie steht auf halb elf», sagte der andere und verglich sie mit seiner Armbanduhr. «Um sieben werde ich Sie operieren.»
    «In achteinhalb Stunden.»
    «In achteinhalb Stunden», bestätigte der Arzt.
    «Aber jetzt müssen wir noch etwas miteinander besprechen, denke ich, mein Herr. Wir kommen nicht darum herum, dann will ich Sie nicht mehr stören. Die letzten Stunden sei man gerne mit sich allein, heißt es. Gut. Doch geben Sie mir ungebührlich viel Arbeit.»
    Er setzte sich wieder auf den Stuhl, die Lehne gegen die Brust gepreßt.
    «Ich denke, Sie sind das gewohnt», entgegnete der Alte.
    Emmenberger stutzte einen Augenblick. «Es freut mich», sagte er endlich, indem er den Kopf schüttelte, «daß Sie den Humor nicht verloren haben. Da wäre Fortschig gewesen. – Er ist zum Tode verurteilt worden und hingerichtet. Mein Zwerg hat gute Arbeit geleistet. Den Lichtschacht im Hause an der Keßlergasse hinunterzuklettern, nach einer mühsamen Dachpromenade über die nassen Ziegel, von Katzen umschnurrt, und durch das kleine Fenster auf den andächtig sitzenden Dichterfürsten einen doch wirklich kraftvollen und tödlichen Hieb mit meinem Autoheber zu führen, war für den Däumling nicht eben leicht. Ich war ordentlich gespannt, als ich in meinem
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