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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel
Autoren: Ralf Isau
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Ich weiß, wie abgöttisch du beide liebst.«
    Gwenole ballte die Fäuste. »Hört nicht auf ihn, Majestät. Er will nur Eure Entschlossenheit schwächen.«
    Aus Gradlons Kehle grollte es bedrohlich. Unerbittlich rückte er weiter gegen Oros vor. Schritt für Schritt drängte er ihn in eine Ecke. Nur ein Fenster gab es da und einen in der Sonne leuchtenden Wandbehang aus bunter Seide. Als dem Herrscher der Zeit kein Ausweg mehr blieb, riss er sich die schwarze Maske vom Gesicht.
    Ein gleißendes Licht schoss aus den Augenhöhlen der Prinzessin. Der König schreckte vor ihr zurück und sie stahl sich an seiner blitzenden Klinge vorbei. Hätte er nicht die Larve getragen, wäre er mit Sicherheit dabei geblendet worden. Gwenole hatte ihn vor den Augen des strahlenden Stundenwächters gewarnt. Die Wirklichkeit übertraf alle Erwartungen.
    Mit einem Mal befand sich Gradlon in der Defensive. Benommen taumelte er nach hinten bis an den Wandbehang. Nur das erhobene Schwert hinderte Oros daran, sich sofort auf ihn zu stürzen.
    Das Gesicht der Prinzessin lächelte. »Wenn du mir freiwillig deinen Körper überlässt, dann werde ich dich verschonen. Ich verspreche dir ein sehr langes Leben.«
    »Und was ist mit Dahut?«
    »Bis jetzt hat sie nur ihr Augenlicht verloren. Es liegt in deiner Hand, sie vor Schlimmerem zu bewahren.«
    Der König verspürte unbändigen Zorn. Nur um seiner Tochter willen beherrschte er sich. Konnte er Oros trauen und sie doch noch retten? Er musste an Gwenoles Warnungen denken. Alles, was der junge Adept gesagt hatte, war bisher eingetroffen …
    Gradlon schnaubte verächtlich. »Ich werde nicht zulassen, dass du in meiner Gestalt über die Menschen herrschst.«
    »Du wärst nicht der Erste. Vor dir hat es schon andere gegeben, denen ich zehntausend und mehr Jahre gab.«
    »Und was ist aus ihnen geworden? Darf ich raten? Sie sind zu Staub zerfallen.«
    Wie eine Marionette streckte Dahut die Hand nach der drohend auf ihre Brust gerichteten Schwertspitze aus. »Ich könnte dein Herz auf der Stelle stillstehen lassen. Dazu bräuchte ich nur deine Klinge zu berühren.«
    Der König straffte die Schultern. »Mein Leben magst du mir nehmen, aber den Namen Gradlons wirst du damit nicht auslöschen. Schau aus dem Fenster hinter dir. Ys ist mein Werk. Seine Pracht bringt die Menschen zum Staunen und das wird es noch viele Tausend Jahre tun.«
    »Du hast keine Vorstellung von der Zeit, die deiner Schöpfung bleibt«, erwiderte Oros kühl und zwang Dahut, die andere Hand zu heben. Darin lag ein silberner Gegenstand. »Dies ist der Verbotene Schlüssel, der Schlüssel zu Ker- Ys . Ich kenne die Macht, die in ihm wohnt und deine Stadt beschützt. Doch diesen Schutz gibt es nicht mehr, Gradlon, weil er nun mir gehört. Während wir hier reden, rollt eine Riesenwelle auf Ys zu. Sie wird es vernichten, wenn ich ihr nicht Einhalt gebiete.«
    Entsetzt krallte der König seine Linke in den Wandbehang. » Das würdest du tun?«
    »O ja«, erwiderte Oros mit dem bestrickenden Lächeln der Prinzessin. »Deshalb musst du dich entscheiden. Und zwar sofort! «
    Gradlon nickte bedächtig. »So soll es sein …«
    Plötzlich duckte er sich und riss dabei das seidene Tuch von der Wand. Dahinter kam eine blank polierte Scheibe aus Gold zum Vorschein. Schriftzeichen bildeten auf ihr eine Spirale des Wissens – das Buch der Zeit . Die Windungen wirkten auf Oros wie ein magischer Strudel, von dem er seinen Blick nicht lösen konnte.
    Als er im Spiegelbild seine flammenden Augen sah, stieß er einen grauenhaften Schrei aus. Vom eigenen Glanz geblendet, verließ ihn jäh alle Kraft. Sein Geist schien sich in glühend heißem Schmerz aufzulösen. Er lechzte nach rascher Linderung. Und so löste er sich als fauchende Lohe vom Leib der Prinzessin und verschmolz mit dem goldenen Buch.
    Kaum war die Gefahr gebannt, beachtete der König den Spiegel nicht mehr. Seine ganze Sorge galt Dahut, die reglos am Boden lag. Er bildete sich ein, ihr Herz schlüge noch. Ihre Augen jedenfalls waren verbrannt. Er begann zu schluchzen. Seit dem Eintritt ins Mannesalter hatte er sich kein einziges Mal so gehen lassen. Selbst bei Malgvens Tod waren die Dämme seiner Tränen so fest verschlossen geblieben wie die Festung der Tiefe. Nun aber brach dieses Bollwerk und er weinte hemmungslos.
    »O nein!«, erscholl unvermittelt Gwenoles Stimme hinter ihm. »Oros hat nicht nur gedroht. Sie kommt tatsächlich.«
    Gradlon erhob sich und blickte aus dem Fenster.
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