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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel
Autoren: Ralf Isau
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werfen. Als Opfer für den Ozean.
    In den folgenden Wochen wurden in Ys fast täglich rauschende Feste gefeiert. Regelmäßig scharte die Prinzessin Edle, Reiche und Mächtige um sich, ebenso wie die Seefahrer von Ys und Kaufleute aus fernen Landen. Und immer häufiger lockte sie einen der Weisen in ihr Schlafgemach.
    Zehn von ihnen teilten Talans Schicksal. Wenngleich sie ihr Geheimnis nicht preisgaben, erlagen sie doch Dahuts Verführungskunst. Sie ließen sich auf das Spiel der schwarzen Masken ein, starben im Morgengrauen und versanken im Meer. Dabei ging die Prinzessin so geschickt vor, dass niemand ihr auf die Schliche kam. Sogar ihren Vater konnte sie lange täuschen – vielleicht weil er die Wahrheit nicht sehen wollte.
    Als die Sommerhitze über der Stadt flirrte, hatte sich die Kunde von den ausschweifenden Festlichkeiten in Ys bis weit über die Reichsgrenzen hinaus verbreitet. Es sei eine Stätte des Lasters, wurde erzählt. Der König schien davon nichts zu bemerken. Er war in seiner Trauer gefangen und nahm kaum noch an den Banketten teil. Seine Tochter hingegen übertrumpfte sich selbst mit immer neuen Attraktionen, um das Interesse der Weisen wach zu halten.
    Wieder hatte sie einen von ihnen umgarnt, nun schon der Zwölfte und der bisher Jüngste auf ihrer schwarzen Liste. Der hübsche Bursche hieß Gwenole und zeigte sich für ihre Verführungskünste besonders empfänglich. Erst vor Kurzem war er aus Phaistos auf der Insel Kreta nach Ys gekommen. Wegen seiner außergewöhnlichen Klugheit hatten die Weisen der Stadt ihn schnell als Adept in ihren Rat aufgenommen.
    Auf dem Bett der Prinzessin, das Gesicht unter der dunklen Maske verborgen, gestand der heißblütige Verehrer ihr seine Liebe. Alles würde er für sie tun.
    Dann erschließe mir das Wesen der Zeit, bettelte Dahut.
    Nach anfänglichem Zögern erklärte er sich dazu bereit. Er werde das bisher nur mündlich überlieferte Wissen der Erleuchteten in ein Buch schreiben, versprach er, auf eine Scheibe aus Ton. Nein, fügte er hinzu, besser noch in pures Gold werde er das Buch der Zeit für seine Liebste bannen, damit es so unvergänglich sei wie das, was er ihr damit zu Füßen lege: ewige Jugend und Schönheit. Allerdings knüpfte er seinen Verrat an eine Bedingung.
    »Du bekommst das Buch von mir, wenn ich von dir den Schlüssel erhalte, den dein Vater an der Silberkette bei sich trägt.«
    »Den zum Bronzetor? Den Verbotenen Schlüssel? Wozu? Wer ihn antastet, ist des Todes. Das gilt sogar für mich.« Aus Dahut sprach der Argwohn von Oros.
    »Es ist zu deinem und unser aller Wohl«, erklärte Gwenole und lächelte besänftigend. »Die Kontrolle über die Festung der Tiefe ist das Einzige, das dein Vater uns Weisen vorenthält. Wie die älteren Ratsherren mir erzählten, ist er schon einmal aufs Meer hinausgefahren und fast nicht mehr zurückgekehrt. Keine Sorge, du bekommst den Schlüssel zurück. Ich will ihn nur kopieren, damit die Stadt sich schützen oder öffnen kann, wie es ihrem Gedeihen nützt. Sollte Gradlon jemals von uns gehen, wäre so ihr Fortbestand gesichert.«
    Das Argument erschien Dahut vernünftig – weil Oros es einleuchtend fand. Der Herrscher der Zeit sah seine große Stunde gekommen. Die Prinzessin war ihm nützlich gewesen, solange er aus ihrer kindlichen Unschuld hatte Kraft schöpfen können. Nun war sie verbraucht, ein im Blut ihrer Opfer stumpf gewordener Meißel, der dem Bildhauer nicht länger nützte. Er würde sich ihrer entledigen und an ihrer statt Gradlon in seine Gewalt bringen.
    Und sobald der liebestolle Gwenole ihm das Buch der Zeit aushändigte, brauchte er auch die Erleuchteten von Ys nicht mehr. Dann konnte er sich andere Werkzeuge suchen. Am besten einen neuen unbefleckten Geist, einen Menschen mit Genie und ein paar nützlichen Charakterschwächen, einen Verführbaren also, der das Reich Mekanis endgültig aus dem Kosmos der Gedanken befreite und ins stoffliche Universum hinübertrug.
    »Wann wirst du mir die Geheimnisse übergeben?«, fragte die Prinzessin ungeduldig.
    »Morgen zur achten Stunde«, versprach der junge Adept. »Nach dem Mittagsmahl pflegt dein Vater auszuruhen. Wir treffen uns in seinem Schlafgemach. Du entwindest ihm den Schlüssel und ich gebe dir im Tausch das Buch.«
    »Gut«, willigte Dahut in den Handel ein. Und während sie Gwenole die schwarze Maske abnahm, fügte sie hinzu: »Die brauchst du nicht mehr. Wir sind ab jetzt ein Herz und eine Seele.«
    Er schickte sich
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