Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
an, es ihr gleichzutun, doch sie griff schnell nach seinen Handgelenken und drückte sie nach unten. »Es ist besser, wenn ich meine Augen nicht enthülle. Sonst könnte das Feuer meiner Liebe dich verbrennen.«
    Als die Sonne sich über dem Horizont erhob, lebte Gwenole immer noch. Er schlich sich aus dem Gemach der Prinzessin und zur Mittagszeit traf er sich erneut mit ihr. Sie trug wieder ihre Maske und reichte eine zweite ihrem Komplizen. »Setz die Larve auf. Sollten wir entdeckt werden, können wir unerkannt entkommen.«
    Gwenole ahnte, dass dies nicht der wahre Grund war, doch er ließ sich nichts anmerken.
    »Wo hast du das Buch der Zeit?«, fragte Dahut.
    »Du wirst es bei deinem Vater finden. Ich bin ertappt worden, als ich die geheimen Zeichen der Erleuchteten, wie ich es dir versprach, auf eine goldene Scheibe bannte. Nur indem ich behauptete, es sei auf des Königs Befehl geschehen, konnte ich dem Kerker entgehen.«
    »Und das haben sie dir geglaubt?«
    »Ja, weil er es bestätigte. Er hatte mich tatsächlich einmal nach dem Wesen der Zeit befragt, nachdem ihm von deiner diesbezüglichen Wissbegier berichtet worden war. Kann es sein, dass du schon vor mir andere aus dem Rat der Weisen ausgefragt hast?«
    »Vielleicht habe ich gelegentlich mit ihnen darüber geplaudert«, antwortete Dahut ausweichend. Mit einem Mal hatte sie es sehr eilig, den Raub des Verbotenen Schlüssels hinter sich zu bringen.
    Gemeinsam drangen die beiden durch ein Fenster ins Dachgemach des Königs ein. Hier pflegte er seine Mittagsruhe abzuhalten, weil zahlreiche Öffnungen die Meeresbrisen hereinwehen ließen und auch im Sommer angenehme Temperaturen herrschten.
    Gradlon schnarchte vernehmlich.
    Während Gwenole beim Fenster Wache hielt, schlich die Prinzessin zum Diwan ihres Vaters. Er schlief voll bekleidet auf dem Rücken und trug eine Maske, wohl damit die helle Mittagssonne ihn nicht störte. Die schwere Silberkette lag auf seiner Brust.
    Dahut streckte die Hand nach dem verbotenen Schlüssel aus.
    Und zögerte.
    Nicht Oros, die eigenen Bedenken bewogen sie dazu. Irgendetwas stimmte hier nicht. Sie blickte erneut in Gradlons Gesicht. Äußerlich war seine schwarze Larve den von ihr benutzten sehr ähnlich. Wollte er sie damit warnen? Wusste er etwa …?
    Ehe der Gedanke zu Ende gedacht werden konnte, verlor Oros die Geduld. Wie ein ruppiger Marionettenspieler ließ er seinen Willen in Dahuts Körper fahren.
    Ihre Hand näherte sich wieder der Brust des Vaters. Hilflos musste sie mitansehen, wie ihre Finger zu zitternden Klauen wurden, die sich um den silbernen Schlüssel krallten.
    Plötzlich fuhr Gradlons Linke nach oben und packte das Handgelenk seiner Tochter. Blitzschnell zog er ein Schwert unter sich hervor. »Also ist es wahr«, zischte er. »Ich wollte es nicht glauben, als Gwenole mich vor dir warnte.«
    Gradlon war ein erfahrener Kämpfer und alles andere als altersschwach. Dennoch hatte er die Kraft unterschätzt, die der Herrscher der Zeit in Dahuts Körper entfesselte. Oros riss sich aus dem eisenharten Griff des Recken los, ehe dieser ihm die Klinge an den Hals setzen konnte. Im Zurückweichen befahl er Gwenole: »Wenn du nicht das Schicksal deiner elf Vorgänger teilen willst, dann töte den König!«
    Der junge Adept schüttelte den Kopf. »Für wie dumm hältst du mich, Oros?«
    Ein Ruck ging durch Dahuts Leib. »Woher kennst du meinen Namen?«
    »Wer das Wesen der Zeit erforscht, muss sich auch mit ihrem Herrn befassen. Und selbst der Stundenwächter vermag sie nicht völlig zu ergründen, obwohl seine Macht ihren ewigen Strom doch lenkt. Dies und vieles mehr lehrte mich der Seher Polyidos, den ein weitblickender Fürst nach Phaistos rief. Vielleicht hast du schon von Minos gehört, dessen Sohn ich bin. Er ist der König von Kreta und ein treuer Bundesgenosse Gradlons. Als dessen Hilferuf uns erreichte, schickte mein Vater mich, um das spurlose Verschwinden der Weisen von Ys aufzuklären.«
    »Genau so war es«, knurrte Gradlon. Mit ausgestrecktem Schwert näherte er sich vorsichtig dem Herrscher der Zeit. »Gwenole erklärte mir, dass du wie ein Seefahrer bist, der die Gezeiten nutzt, ohne ihre Natur ergründet zu haben. Dazu benötigst du die Erleuchteten. Ich kann mir denken, wie außerordentlich dich das wurmt. Und jetzt gib meine Tochter frei, sonst …«
    »Was dann?«, schnitt Oros ihm das Wort ab. »Tötest du etwa dein eigen Fleisch und Blut, dein Ein und Alles? In Dahut lebt dein Weib Malgven fort.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher