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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel
Autoren: Ralf Isau
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sieben bat sie ihren Vater zum ersten Mal, ihr eine »Heimstatt am Meer« zu bauen. Offenbar, so glaubte der König, hatte sie auch die Liebe zur See von Malgven geerbt.
    Als Dahuts Drängen immer inbrünstiger wurde, gab der in sie vernarrte Vater schließlich nach. Ihr zum Gefallen errichtete er das prächtige Ys .
    Um die Stadt zu schaffen und zu voller Blüte zu bringen, versammelte er von nah und fern die begabtesten Künstler und größten Gelehrten. Auch damit diente er in Wahrheit dem Herrscher der Zeit, doch nach wie vor ahnte Gradlon davon nichts. Sogar Dahut verdankte ihr Leben Oros, denn ohne dessen Intrigen hätten ihre Eltern nie zueinander gefunden. Nun nährte er bei dem Mädchen die gleichen Schwächen, denen schon Malgven erlegen war. Allnächtlich sandte er ihr verführerische Träume von Größe und Glanz. Je mehr Dahut darüber ihre kindliche Unschuld verlor, desto stärker geriet sie in die Gewalt des gesichtslosen Ränkeschmieds.
    Ys lag an einer malerischen Bucht in Arvorig – im Wesentlichen die heutige Bretagne –, wo das keltische Volk der Bretonen lebte. Wer sich der Stadt vom Wasser her näherte, dem kam es so vor, als wüchsen ihre schimmernden Dächer, Kuppeln und Türme direkt aus dem Meer empor. Und aus der Mitte ragte die Zitadelle des Königs auf.
    Um seine Hauptstadt vor den Wellen des Atlantischen Ozeans zu schützen, ließ er zur See hin einen gigantischen Steinwall errichten, Ker- Ys , die »Festung der Tiefe«. Den Zugang zum Hafen sicherte ein riesiges Tor aus Bronze.
    Den einzigen Schlüssel dazu hielten manche für einen magischen Kraftspender, weil Gradlon ihn Tag und Nacht an einer schweren Silberkette um den Hals trug. Nicht wenige glaubten, solange das Amulett über dem Herzen des Königs verweile, könne Ys kein Unheil treffen. Es zu berühren, galt jedem Untertan als todeswürdiger Frevel. So bekam es seinen Namen: der »Verbotene Schlüssel«.
    Kaum war Dahuts Heimstatt am Meer Wirklichkeit geworden, trachtete sie bereits nach etwas noch Größerem. Was nütze es ihr, flüsterte Oros der Prinzessin im Traum zu, wenn die Nachwelt Hymnen auf ihre prächtige Stadt sänge, Ys selbst aber längst zerfallen sei? Wäre es nicht besser, ihr Reich unzerstörbar zu machen? Alles, was sie hierfür benötigten, sei Macht über die Zeit . Und der Schlüssel dazu sei das Wissen der Erleuchteten, das die Weisen von Ys eifersüchtig bewachten. Wenn es Dahut jedoch gelänge, das Geheimnis nur einem von ihnen zu entlocken, dann könne ihr Name unsterblich werden.
    In Wahrheit verfolgte Oros vollkommen andere Ziele. Ihm schwebte ein eigenes Reich vor – Mekanis sollte es heißen. Bisher war es nur ein Hirngespinst, eine Idee, ein Spiegelbild im Bewusstsein der Menschen. Solange es dort existierte, gedieh es wie ein Baum am Wasser. Und es verdorrte wieder, sobald diese vergänglichen Wesen den Gang alles Irdischen antraten und er niemandem mehr seinen Willen aufzwingen und seine Gedanken denken lassen konnte.
    Deshalb trachtete Oros danach, sich von den Kleingeistern, wie er sie nannte, zu befreien. Er musste sich mit etwas, das so unvergänglich wie Gold war, an den materiellen Kosmos binden. Das Schattendasein von Mekanis hätte ein Ende. Es würde sich aus dem flüchtigen Dasein im gefühlsduseligen Tümpel menschlicher Schöpferkraft erheben. Es würde eine wirkliche Welt. Das Geschlecht der Sterblichen wäre für ihn darin wie Ton in den Händen des Töpfers. Beliebig formbar.
    Und dazu benötigte er Dahut.
    Dummerweise, so dachte er, hatte dieses »Werkzeug« einen schweren Makel: Es war ein Mädchen. Welches Volk folgte denn einer Jungfrau? Undenkbar so etwas! Schon gar nicht bei den Bretonen. In ein paar Tausend Jahren vielleicht … Immerhin, tröstete sich Oros, die Prinzessin war fast erwachsen und betörend schön. Für seine Zwecke also durchaus nützlich. Zur endgültigen Umsetzung seiner Pläne brauchte er allerdings einen Mann. Er musste sich den Willen eines Königs unterwerfen, am besten den eines Helden wie Gradlon.
    Um diesen Vorsatz zu verwirklichen, ließ er Dahut ein großes Fest ausrichten. Die ganze Stadt sollte mit ihr feiern. Es war die Zeit des Frühlings und rings um die Zitadelle freute man sich über die großzügige Geste des Hofes. In den Palast lud die Prinzessin ebenso die Seeleute ein, denen Ys seinen Reichtum verdankte, wie auch die Honoratioren der Stadt, darunter die Weisen des Königs, die das uralte Wissen hüteten. Talan, ihrem Wortführer,
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