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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort
Autoren: Fred Vargas
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stumm geschehen, er war sichtlich erschöpft und nahezu apathisch. Adamsberg fuhr schweigend, es war kurz vor fünf Uhr morgens, bald würde es Tag sein. Er zögerte. Sollte er den Fall rein professionell behandeln oder sich mit voller Wucht hineinstürzen? Eine dritte Möglichkeit, die Danglard ihm immer nahelegte, wäre es, sich subtil und mit Eleganz der Sache zu nähern. Auf englische Art eben. Aber für diese Art der Annäherung war er nicht ausgestattet. Mutlos und ein wenig zerschlagen ließ er den Wagen dahinfahren. Reden oder nicht reden, was machte das für einen Unterschied? Wozu, und was wollte er erreichen? Er konnte, ohne mit der Wimper zu zucken, Zerk in sein bisheriges Leben zurückkehren lassen. Er konnte weiter so bis ans Ende der Welt fahren, ohne ein Wort. Er konnte ihn auch einfach stehenlassen. Zerk hatte mit seinen verbundenen Händen unbeholfen eine Zigarette herausgezogen. Aber sie anzuzünden war er nicht in der Lage. Adamsberg seufzte, drückte auf den Zigarettenanzünder und reichte ihn ihm. Mit der anderen Hand griff er zu seinem zweiten Handy. Weill rief ihn an.
    »Habe ich Sie geweckt, Kommissar?«
    »Ich hatte mich gar nicht hingelegt.«
    »Ich auch nicht. Nolet hat den Trauzeugen gefunden, ein Schulkamerad von Françoise Chevron und Emma. Er hat Carnot vor einer halben Stunde gestellt. Sie war, mit Waffe, höchstpersönlich auf dem Weg zur Wohnung des Schulfreunds.«
    »Es gibt solche Nächte, Weill, wo die Menschen Hunger haben. Arnold Paole wurde vor einer Stunde in der Villa in Garches verhaftet. Dr. Paul de Josselin. Er war dabei, Zerk auf kleinem Feuer zu rösten.«
    »Schäden?«
    »Zerk hat zerfetzte Hände. Josselin liegt im Krankenhaus von Garches mit einer Kugel im Bauch, nicht tödlich.«
    »Wer hat geschossen? Sie?«
    »Die Nachbarin. Sechzig Jahre, ein Meter fünfzig, vierzig Kilo, Kaliber 32.«
    »Wo ist der junge Mann?«
    »Hier bei mir.«
    »Bringen Sie ihn nach Hause?«
    »In gewisser Weise, ja. Er kann seine Hände nicht gebrauchen, er kommt gerade nicht allein zurecht. Sagen Sie Nolet, er soll den Zugang zur Wohnung von Françoise Chevron blockieren, die werden mit allen Mitteln versuchen, Emma Carnot aus dem Sumpf herauszuziehen und den Ehemann von Chevron hineinzustoßen. Sagen Sie ihm auch, er soll die Sache Carnot achtundvierzig Stunden lang geheim halten. Keine einzige Pressemitteilung, nicht eine Zeile. Das Mädchen steht übermorgen vor Gericht. Ich will nicht, dass Mordent sich umsonst hat überrumpeln lassen.«
    »Klar.«
    Zerk reichte ihm fragend seine Zigarettenkippe, und Adamsberg drückte sie im Aschenbecher aus. Im Profil betrachtet, wie er da im heraufkommenden Morgenlicht saß und vagen Gedanken nachzuhängen schien, sah Zerk ihm ähnlich mit seiner Habichtsnase und seinem fliehenden Kinn, so dass man sich fragen konnte, warum Weill das nie aufgefallen war. Josselin hatte gemeint, dass der Junge ein Trottel sei.
    »Ich habe in Kiseljevo all deine Zigaretten aufgeraucht«, sagte Adamsberg. »Die Schachtel, die du bei mir hast liegenlassen. Alle außer einer.«
    »Josselin hat was von Kiseljevo gesagt.«
    »Das ist der Ort, wo Peter Plogojowitz 1725 starb. Wo die Gruft für seine neun Opfer gebaut wurde, in der Josselin mich eingeschlossen hat.«
    Adamsberg spürte, wie ein eisiger Hauch ihm über den Rücken strich.
    »Wirklich«, sagte Zerk.
    »Ja. Mir war sehr kalt. Und jedes Mal, wenn ich daran denke, kommt die Kälte wieder zurück.«
    Adamsberg fuhr zwei Kilometer ohne ein Wort.
    »Er hat die Tür des Gewölbes geschlossen, dann hat er gesprochen. Er hat dich perfekt nachgeahmt. ›Weißt du, wo du bist, Idiot?‹«
    »Das klang nach mir?«
    »Sehr. ›Und alle Welt wird erfahren, dass Adamsberg sein Kind hat sitzenlassen und was aus diesem Kind geworden ist. Wegen dir. Dir. Dir.‹ Das war sehr überzeugend.«
    »Und du hast gedacht, das wäre ich?«
    »Klar. Genau das Aas, das du warst, als du zu mir kamst. Um mir das Leben zu versauen. Das hattest du doch versprochen, oder?«
    »Was hast du in der Gruft gemacht?«
    »Ich bin darin bis zum Morgen langsam erstickt.«
    »Wer hat dich gefunden?«
    »Veyrenc. Er war mir ständig auf den Fersen, um zu verhindern, dass ich dich zu fassen kriegte. Wusstest du das?«
    Zerk sah aus dem Fenster, es war nun taghell.
    »Nein«, sagte er. »Wohin fahren wir? In deine verdammte Brigade?«
    »Siehst du nicht, dass wir Paris den Rücken kehren?«
    »Wohin fahren wir dann?«
    »Dahin, wo es keine Straße mehr
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