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Der verborgene Stern

Der verborgene Stern

Titel: Der verborgene Stern
Autoren: Nora Roberts
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vors Gesicht. „Ich weiß nicht, wer ich bin! Ich weiß nicht, wer ich bin …“ Und dann weinte sie die Worte in ihre Hände. „Ich weiß einfach nicht, wer ich bin!“
    Cade hatte eine Menge Erfahrung mit hysterischen Frauen. Er war mit Frauen aufgewachsen, die mit Tränen und ersticktem Schluchzen auf so ziemlich alles reagierten – von einem abgebrochenen Nagel bis hin zu einer zerbrochenen Ehe. Also stand er auf, bewaffnete sich mit einer Schachtel Papiertaschentücher und ging vor ihr in die Knie.
    „Sehen Sie mich an. Alles wird gut.“ Mit behutsamen und geübten Bewegungen strich er ihr die schwarz verlaufene Wimperntusche von den Wangen, tätschelte ihre Hand, streichelte ihr übers Haar, blickte in ihre vor Tränen schimmernden Augen.
    „Es tut mir leid. Ich kann nicht …“
    „Kein Problem. Weinen Sie ruhig“, murmelte er. „Danach werden Sie sich besser fühlen.“ Er erhob sich, ging in das winzige Badezimmer und füllte einen Pappbecher mit Wasser.
    Nachdem sie einen Berg Taschentücher auf ihrem Schoß zerknüllt und drei Pappbecher zerdrückt hatte, stieß sie einen kleinen, bebenden Seufzer aus. „Entschuldigen Sie. Vielen Dank. Jetzt fühle ich mich tatsächlich besser.“ Ihre Wangen röteten sich ein wenig, als sie die Taschentücher und Pappbecher zusammensammelte. Cade nahm ihr das Ganze aus den Händen, warf es in den Papierkorb, lehnte sich an eine Ecke seines Schreibtisches und sah sie ruhig an.
    „Wollen Sie mir jetzt erzählen, was los ist?“
    Sie nickte, verschränkte dabei aber die Finger so fest ineinander, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Ich … da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich kann mich nur einfach an nichts erinnern. Weder daran, wer ich bin, noch was ich tue oder wo ich herkomme. Freunde, Familie: Nichts.“ Ihr stockte wieder der Atem, sie stieß ihn langsam aus. „Gar nichts“, wiederholte sie.
    Sollte das ein Traum sein? Eine atemberaubend schöne Frau ohne Vergangenheit spazierte einfach so in sein Büro? Er warf einen Blick auf die Tasche in ihrem Schoß. Darauf würde er gleich zu sprechen kommen. „Warum erzählen Sie mir nicht alles der Reihe nach. Was ist das Erste, an das Sie sich erinnern können?“
    „Ich bin in einem Zimmer aufgewacht – in einem kleinen Hotelzimmer in der Sechzehnten Straße.“ Sie lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. „Aber selbst das ist irgendwie unklar. Ich lag zusammengerollt auf dem Bett, und ein Stuhl war unter die Türklinke geklemmt. Es regnete. Ich konnte den Regen hören. Ich war müde und verwirrt, aber mein Herz klopfte so schnell, als wäre ich aus einem Albtraum aufgewacht. Ich hatte noch meine Schuhe an. Ich kann mich erinnern, wie ich mich fragte, warum ich mit meinen Schuhen ins Bett gegangen bin. Im Zimmer war es dunkel und stickig. Alle Fenster waren verschlossen. Ich war so müde und fertig, dass ich ins Badezimmer ging, um mir Wasser ins Gesicht zu spritzen.“
    Jetzt öffnete sie die Augen und blickte ihn an. „Ich sah mein Gesicht im Spiegel. In diesem hässlichen kleinen Spiegel mit den schwarzen Klecksen. Und es sagte mir überhaupt nichts, dieses Gesicht.“ Sie hob eine Hand, fuhr sich über die Wange, dann über das Kinn. „Mein Gesicht war das einer Fremden. Ich konnte mich an keinen Namen erinnern oder an Gedanken oder Pläne aus meiner Vergangenheit. Ich wusste nicht, wie ich in dieses schreckliche Zimmer gekommen bin. Ich habe die Schubladen durchsucht, aber da war nichts. Keine Kleider. Ich hatte Angst. Ich wollte nicht dort bleiben, aber ich wusste auch nicht, wohin ich gehen sollte.“
    „Die Tasche? Das war alles, was Sie bei sich hatten?“
    „Ja. Keine Geldbörse, keine Brieftasche, keine Schlüssel. Nur das war darin.“ Sie langte in ihre Jackentasche und zog eine Notiz hervor.
    Cade musterte die hingekritzelten Worte.
    Bailey, Samstag um sieben, richtig? M.J.
    „Ich weiß nicht, was das bedeutet. Ich habe vorhin eine Zeitung gesehen. Heute ist Freitag.“
    „Hmm. Schreiben Sie das auf.“ Er reichte ihr Block und Stift.
    „Was?“
    „Schreiben Sie auf, was auf dem Zettel steht.“
    „Oh.“ Sie gehorchte.
    Obwohl es eigentlich nicht nötig war, legte er die beiden Schriftproben nebeneinander. „Nun, Sie sind nicht M.J., also vermute ich, dass Sie Bailey sind.“
    Sie schluckte. „Wie bitte?“
    „Die Handschrift von M.J. sieht aus, als ob es sich um einen Linkshänder oder eine Linkshänderin handelt. Sie hingegen sind
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