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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Dun sog hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein. »Ist sie …?«
»Nein, das nicht«, unterbrach ihn Andrej so scharf und erschrocken, als fürchte er, dass etwas
Schreckliches geschehen müsste, wenn Abu Dun den Gedanken ausspräche, den er nicht einmal zu
denken wagte. »Sie ist nur ein Mädchen. Und ich mag sie nicht, das ist alles.«
Darauf antwortete Abu Dun nicht. Aber sein Schweigen war beredt genug. Andrej beschleunigte seine
Schritte. Er hatte Abu Dun nicht ganz die Wahrheit gesagt. Das Mädchen war ihm nicht unheimlich.
Das Mädchen machte ihm Angst.
Sie hatten gerade einmal den halben Weg den Hang hinauf zurückgelegt, als sie erneut seine Stimme
vernahmen: »Ihr Herren?«
Am liebsten wäre Andrej einfach weitergegangen. In Anwesenheit des Nubiers jedoch wäre ihm dieses
Eingeständnis seiner eigenen Schwäche unangenehm gewesen, und so blieb er widerwillig stehen und
drehte sich zu dem Mädchen um. »Was ist denn noch?«
Das Mädchen war aus dem Fluss herausgetreten und stand am Ufer. Seltsam: Im roten Gegenlicht der
Sonne sah es so aus, als wären seine Kleider bereits wieder getrocknet, und auch sein Haar klebte nicht
mehr nass am Kopf.
»Ich habe es mir überlegt«, sagte es. »Ich glaube, ich werde Euch doch töten.«
Andrej presste die Lippen aufeinander, und Abu Dun zog die Stirn in Falten. »Du solltest vorsichtig mit
solchen Scherzen sein«, grollte er. »Nicht jeder ist so geduldig wie wir. So etwas könnte dir eine gehörige
Tracht Prügel einbringen.«
»Ich scherze nie«, antwortete das Mädchen. »Und meine Geschwister auch nicht.«
Die Hand, die eben noch den Dolch gehalten hatte, deutete an Andrej vorbei zum Waldrand hinauf.
Alarmiert fuhr er herum.
Und hätte um ein Haar laut aufgeschrien.
Über ihnen waren drei weitere schmächtige Gestalten aus dem Unterholz getreten. Drei Knaben, von
denen zwei kaum älter sein konnten als das Mädchen. Der Dritte aber war annähernd so groß wie Andrej,
und vielleicht fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Alle drei waren ähnlich gekleidet wie das Mädchen - ihre
Schwester, wenn sie die Wahrheit gesagt hatte. Sie trugen dünne Sandalen und einfache, sackleinene
Hemden, die anstelle eines Gürtels nur von groben Stricken zusammengehalten wurden.
Alle drei hatten dasselbe pechschwarze Haar. Andrej schauderte, als er der Kälte in ihren Augen gewahr
wurde.
»Was zum Teufel bedeutet das?«, murmelte Abu Dun.
Andrej schüttelte langsam den Kopf. »Nichts gutes.«
Der hünenhafte Nubier schlug seinen Mantel zurück und legte vorsorglich die Hand auf den Griff des
Krummsäbels, den er darunter trug. Langsamer, deutlich langsamer als zuvor, setzten sie sich wieder in
Bewegung. Andrejs Herz begann wieder zu rasen. Es waren nur Kinder, aber irgend etwas stimmte hier
nicht.
Der älteste der drei Jungen, von dem Andrej annahm, dass er zugleich auch den Anführer darstellte, löste
sich von seinem Standort und kam ihnen entgegen, während sich die beiden anderen nach rechts und links
entfernten. Andrej musste sich nicht umsehen, um zu wissen, dass sich auch das Mädchen von seinem
Platz fortbewegt hatte und ihnen folgte. Kein Zweifel: Diese vier Kinder waren dabei, sie einzukreisen.
Doch waren es wirklich Kinder?
Plötzlich blieb der ältere der Jungen stehen und zog etwas hinter seinem Rücken hervor. Andrej riss
ungläubig die Augen auf, als er erkannte, dass es sich um ein schlankes, mehr als einen Meter langes
Schwert handelte, das in einer reich verzierten Scheide aus schwarzem Leder steckte. Auch die Klinge
war mit kunstvollen Gravuren verziert, und die Blutrinne hatte die Form einer gewundenen Schlange.
Andrej wusste das.
Schließlich war es sein Schwert.
»Guten Tag, die Herren«, sagte der Junge. Seine Stimme war so weich und kindlich wie die seiner
Schwester, aber es lag etwas darin, das Andrej schaudern ließ. Ebenso wie der Ausdruck in seinem
Gesicht. Es war nichts Sichtbares. Der Junge hatte ein fein geschnittenes, fast hübsches Antlitz, aber unter
dieser schönen Maske war noch etwas. Etwas Grässliches, Lauerndes.
»Wie kommst du an dieses Schwert?«, fragte Andrej scharf.
Der Junge lächelte. »Es gehört Euch, vermute ich? Eine wirklich prachtvolle Waffe. Schade nur, dass Ihr
sie nicht mehr brauchen werdet.«
Er warf das Schwert mit einer achtlosen Bewegung ins Gras.
Seine Augen wurden schmal. »Ein toter Mann benötigt keine Waffe mehr, oder?«
»Das reicht jetzt!«, zischte Abu Dun. »Treibt es lieber nicht zu weit, oder ich verpasse euch
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