Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
oh
Allererleuchtetster?«
Andrej schwieg dazu. Er hätte die Frage ohnehin nicht beantworten können. Jedenfalls nicht, ohne
eingestehen zu müssen, dass Abu Dun Recht hatte. Stattdessen warf er dem riesenhaften Nubier einen
verärgerten Blick zu und begann, den steinigen Hang hinabzugehen, der den Waldrand vom eigentlichen
Flussufer trennte. Als er aus dem Schatten der Bäume hervortrat, spürte er die Berührung des
Sonnenlichtes wie das Streicheln einer zarten Hand auf dem Gesicht. Obwohl es bald dunkel werden
würde, hatte die Sonne noch Kraft, und es würde wahrscheinlich lange dauern, bis die Temperaturen auch
nur auf ein halbwegs erträgliches Maß sinken würden. Der Sommer war noch entfernt, doch die Tage
wurden jetzt schon fast unerträglich heiß. Das Mädchen stand gewiss nicht nur dort unten im Wasser, um
im Spiel herumzuplantschen.
Andrej hatte sich dem Fluss bis auf weniger als fünf Schritte genähert, als das Mädchen seine
Anwesenheit bemerkte. Dessen Reaktion fiel jedoch anders aus, als Andrej erwartet hätte. Die meisten
Menschen, auf die er und Abu Dun trafen, reagierten misstrauisch, wenn nicht erschrocken oder gar mit
offener Feindseligkeit auf ein unbekanntes Gesicht.
Gastfreundschaft wurde auch in diesem Land hochgehalten, aber, das hatten Abu Dun und er schmerzlich
erfahren müssen, einem Fremden Obdach zu gewähren und ihm zu vertrauen, das war nicht dasselbe. So
hatten sie es schon mehr als einmal vorgezogen, unter freiem Himmel zu nächtigen, statt in einem Haus,
dessen Bewohner keinen Hehl daraus machten, dass sie die Gäste lieber gehen als kommen sahen.
Das schwarzhaarige Mädchen jedoch zeigte keine Furcht. Als es auf das Geräusch seiner Schritte
aufmerksam wurde, fuhr es hoch und sah für einen kurzen Moment gleichermaßen verlegen wie ertappt
aus. Dann jedoch erschien ein neugieriges Funkeln in seinen Augen, und ein Lächeln auf seinem Gesicht,
in dem Andrej vergeblich nach einer Spur von Scheu suchte.
»Oh!«, sagte es schließlich. »Ich habe Euch gar nicht kommen hören.«
Mehr noch als sein Aussehen, machte die Stimme des Mädchens Andrej klar, dass er tatsächlich noch ein
Kind vor sich hatte. Elf, allerhöchstens aber zwölf Jahre alt, vermutlich sogar jünger. Sein Körper, der
unter dem vollkommen durchnässten Kleid deutlich zu erkennen war, zeigte schon die ersten weiblichen
Rundungen, aber sein Gesicht, und vor allem seine Stimme, gehörten eindeutig einem Kind.
Andrej wurde sich der Tatsache bewusst, dass er das Mädchen seit einer geraumen Weile anstarrte. Rasch
räusperte er sich und knüpfte - wenn auch mit einiger Verspätung - an ihre Worte an.
»Das habe ich bemerkt. Du solltest vorsichtiger sein.«
»Vorsichtiger?«
»Nicht alle Fremden, denen man begegnet, sind unbedingt vertrauenswürdig«, erklärte Andrej und
zweifelte gleich an seinem Geisteszustand. Gerade noch hatte er selbst bedauert, wie wenig Vertrauen
unter den Menschen herrschte und jetzt bediente er sich der Argumente derer, denen diese bitteren
Gedanken galten.
Das Mädchen schüttelte aber auch jetzt nur den Kopf, und sein Lächeln wurde noch herzlicher. »Ihr seht
nicht aus wie jemand, vor dem ich mich fürchten müsste. Und Euer großer Freund dort hinten auch nicht.«
Andrej wandte kurz den Blick und sah, dass Abu Dun mit einigem Abstand und sehr langsam herankam.
Eigentlich, dachte er, sieht Abu Dun durchaus aus wie jemand, vor dem man sich fürchten sollte. Er trug
zwar ebenso wenig wie Andrej eine Waffe - zumindest nicht sichtbar -, aber dank seiner riesigen,
massigen Gestalt, seiner ganz in Schwarz gehaltenen Kleidung - und noch dazu mit einem riesigen Turban
ausgestattet, der ihn noch gewaltiger erscheinen ließ - sah er alles andere als Vertrauen erweckend aus.
»Du hast natürlich Recht«, beeilte er sich zu sagen. »Wir sind einfach nur zwei müde Reisende, die auf
der Suche nach einem Gasthof oder einem anderen Schlafplatz sind. Kannst du uns sagen, wo das nächste
Dorf liegt?«
Das Mädchen machte eine vage Kopfbewegung zum anderen Flussufer. »Dort. Ist nicht sehr weit. Eine
halbe Stunde zu Fuß. Viel weniger zu Pferde.«
Andrej blinzelte. »Woher weißt du, dass wir Pferde dabeihaben?«
»Ihr tragt Reithosen«, antwortete das Mädchen. »Und ich kann Eure Tiere riechen. Ihr Geruch haftet
Euch noch an.«
Nun war Andrej wirklich überrascht. Er hatte sich in den zurückliegenden Jahren so sehr daran gewöhnt,
über die scharfen Sinne eines Raubtiers zu verfügen, dass es ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher