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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes
Autoren: Oswald Spengler
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der Arbeiter durch einen Fingerdruck gewaltige Wirkungen ins Dasein ruft, ohne von ihrem Wesen eine Ahnung zu haben, ist das Symbol der menschlichen Technik überhaupt. Das Bild der Lichtwelt um uns, so wie wir es kritisch, zerlegend,
als
Theorie,
als
Bild entwickelt haben, ist nichts als eine solche Tafel, auf der gewisse Dinge so bezeichnet sind, daß auf eine Berührung hin gewisse Wirkungen mit Sicherheit erfolgen. Das Geheimnis bleibt nicht weniger drückend. [Die »Richtigkeit« physikalischer Kenntnisse, d. h. ihre bis zum Augenblick durch keine Erscheinung widerlegte Anwendbarkeit als »
Deutung
«, ist ganz unabhängig von ihrem technischen Werte. Eine sicherlich falsche und in sich widerspruchsvolle Theorie kann für die Praxis wertvoller sein als eine »richtige« und tiefe, und die Physik hütet sich längst, die Worte falsch und richtig im populären Sinne überhaupt auf ihre Bilder statt auf die bloßen Formeln anzuwenden.] Aber durch diese Technik greift das Wachsein doch gewaltsam in die Tatsachenwelt; das Leben
bedient
sich des Denkens wie eines Zauberschlüssels, und auf der Höhe mancher Zivilisation, in deren großen Städten, erscheint endlich der Augenblick, wo technische Kritik es müde ist, dem Leben zu dienen, und sich zu seinem Tyrannen aufwirft. Eine Orgie dieses entfesselten Denkens von wahrhaft tragischen Maßen erlebt die abendländische Kultur eben jetzt.
    Man hat den Gang der Natur belauscht und sich Zeichen gemerkt. Man beginnt sie nachzuahmen durch Mittel und Methoden, welche die Gesetze kosmischen Taktes sich zunutze machen. Der Mensch wagt es, die Gottheit zu spielen und man begreift, daß die frühesten Verfertiger und Kenner dieser künstlichen Dinge – denn hier ist
Kunst als Gegenbegriff von Natur
entstanden –, vor allem die Hüter der Schmiedekunst von den andern als etwas ganz Seltsames betrachtet, scheu verehrt oder verabscheut wurden. Es gab einen immer wachsenden Schatz solcher Erfindungen, die oft gemacht, wieder vergessen, nachgeahmt, gemieden, verbessert wurden und die endlich doch für ganze Erdteile einen Bestand von
selbstverständlichen
Mitteln ergaben, Feuer, Metallbehandlung, Werkzeuge, Waffen, Pflug und Boot, Hausbau, Tierzucht und Getreidesaat. Vor allem sind es die Metalle, an deren Ort ein unheimlich mystischer Zug den primitiven Menschen lockt. Uralte Handelsbahnen ziehen sich nach geheim gehaltenen Erzlagern durch das Leben des besiedelten Landes und über durchruderte Meere hin, auf denen dann später Kulte und Ornamente wandern; sagenhafte Namen wie Zinninseln und Goldland haften in der Phantasie. Der Urhandel ist Metallhandel: so dringt in die erzeugende und verarbeitende Wirtschaft eine dritte, fremde und abenteuerliche, frei durch die Länder schweifende ein.
    Auf dieser Grundlage erhebt sich nun die Technik der hohen Kulturen, in deren Rang, Farbe und Leidenschaft sich die ganze Seele dieser großen Wesen ausspricht. Es versteht sich fast von selbst, daß der antike Mensch, euklidisch wie er sich in seiner Umwelt fühlt, schon dem Gedanken der Technik feindselig gegenübersteht. Meint man mit antiker Technik etwas, das sich mit entschiedenem Streben über die allverbreiteten Fertigkeiten der mykenischen Zeit erhebt, so gibt es keine antike Technik. [Was Diels, »Antike Technik«, zusammengetragen hat, ist ein umfangreiches Nichts. Zieht man ab, was noch der babylonischen Zivilisation angehört wie die Sonnen- und Wasseruhren, oder schon der arabischen Frühzeit wie die Chemie und die Wunderuhr von Gaza, oder was in jeder andren Kultur durch seine bloße Anführung beleidigen würde wie die Arten der Türverschlüsse, so bleibt kein Rest.] Diese Trieren sind vergrößerte Ruderboote, die Katapulte und Onager ersetzen Arme und Fäuste und können sich mit den assyrischen und chinesischen Kriegsmaschinen nicht messen, und was Heron und andere seines Schlages betrifft, so sind Einfälle keine Erfindungen. Es fehlt das innere Gewicht, das Schicksalvolle des Augenblicks, die tiefe Notwendigkeit. Man spielt hier und da mit Kenntnissen – warum auch nicht –, die wohl aus dem Osten stammten, aber niemand achtet darauf, und niemand denkt vor allem daran, sie ernstlich in die Lebensgestaltung einzuführen.
    Etwas ganz anderes ist die faustische Technik, die mit dem vollen Pathos der dritten Dimension, und zwar von den frühesten Tagen der Gotik an auf die Natur eindringt, um sie zu
beherrschen
. Hier und nur hier ist die Verbindung von Einsicht und
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