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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes
Autoren: Oswald Spengler
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westlichem Geld, was das ganze Leben vergiftet und in eine falsche Bahn gelenkt hat. Das Russentum der Tiefe läßt heute eine noch priesterlose, auf dem
Johannesevangelium
aufgebaute dritte Art des Christentums entstehen, die der magischen unendlich viel näher steht als der faustischen, die deshalb auf einer neuen Symbolik der Taufe beruht und, weit entfernt von Rom und Wittenberg, in einer Vorahnung künftiger Kreuzzüge über Byzanz hinweg nach Jerusalem blickt. Damit
allein
beschäftigt, wird es sich die Wirtschaft des Westens wieder gefallen lassen, wie der Urchrist die römische, der gotische Christ die jüdische, aber es beteiligt sich innerlich nicht mehr an ihr. (Hierzu Bd. II, S. 788ff., 835, 898, 921 Anm. 1.)] und so erklärt sich das ungeheure Abströmen des Goldes seit Hadrian in den fernen Osten, für das man bis jetzt keine Erklärung fand. Das Wirtschaftsleben in Gestalt eines Goldstroms war unter dem Heraufdringen einer jungen Kultur erloschen, und deshalb hat auch der Sklave aufgehört, Geld zu sein. Dem Abfluß des Goldes geht jene massenhafte Freilassung der Sklaven zur Seite, die durch keins der zahlreichen kaiserlichen Gesetze seit Augustus aufzuhalten war, und unter Diokletian, dessen berühmter Maximaltarif sich überhaupt nicht mehr auf eine Geldwirtschaft bezieht, sondern
eine Tauschordnung für Güter
darstellt, ist der Typus des antiken Sklaven nicht mehr vorhanden.

II. Die Maschine
6
    Die Technik ist so alt wie das frei im Raume bewegliche Leben überhaupt. Nur die Pflanze ist, so wie wir die Natur sehen, der bloße Schauplatz technischer Vorgänge. Das Tier hat, da es sich bewegt, auch eine Technik der Bewegung, um sich zu erhalten und sich zu wehren.
    Die ursprüngliche Beziehung zwischen einem wachen Mikrokosmos und seinem Makrokosmos – der »
Natur
« – besteht in einem Abtasten durch die Sinne, [Vgl. Bd. II, S. 561.] das sich vom bloßen
Eindruck
der Sinne zum
Urteil
der Sinne erhebt und damit schon kritisch (»scheidend«) oder, was dasselbe ist,
kausal zerlegend wirkt
. Das Festgestellte [Vgl. Bd. II, S. 565.] wird zu einem möglichst vollständigen System ursprünglichster Erfahrungen – »Kennzeichen« – ergänzt, [Vgl. Bd. II, S. 583.] eine unwillkürliche Methode, durch die man sich in seiner Welt zu Hause fühlt, die bei vielen Tieren zu einer erstaunlichen Fülle von Erfahrungen geführt hat und über die kein menschliches Naturwissen hinausführt. Aber ursprüngliches Wachsein ist immer tätiges Wachsein, fernab von aller bloßen »Theorie«, und so ist es die kleine Technik des Alltags, an welcher diese Erfahrungen ohne Absicht erworben werden, und zwar an Dingen,
insofern sie tot sind
. [Vgl. Bd. II, S. 582.] Das ist der Unterschied von Kultus und Mythos, [Vgl. Bd. II, S. 884.] denn auf dieser Stufe gibt es keine Grenze zwischen Religion und Profanem. Alles Wachsein
ist
Religion.
    Die entscheidende Wendung in der Geschichte des höheren Lebens erfolgt, wenn das Fest-stellen der Natur – um sich danach zu richten – in ein Fest-machen übergeht, durch das sie
absichtlich verändert
wird. Damit wird die Technik gewissermaßen souverän, und die triebhafte Urerfahrung geht in ein
Urwissen
über, dessen man sich deutlich »bewußt« ist. Das Denken hat sich vom Empfinden emanzipiert. Erst die
Wortsprache
hat diese Epoche heraufgeführt. Durch die Ablösung der Sprache vom Sprechen [Vgl. Bd. II, S. 717.] ist für die Mitteilungssprachen ein Schatz von Zeichen entstanden, die mehr sind als Kennzeichen, nämlich mit einem Bedeutungsgefühl verbundene
Namen
, mit denen der Mensch das Geheimnis der Numina, seien es Gottheiten oder Naturkräfte, in seiner Gewalt hat, und
Zahlen
(Formeln, Gesetze einfachster Art), durch welche die innere Form des Wirklichen vom Zufällig-Sinnlichen abgezogen wird. [Vgl. Bd. II, S. 883 f.]
    Damit entsteht aus dem System von Kennzeichen eine Theorie, ein
Bild
, das sich auf den Höhen zivilisierter Technik ebenso wie in ihren primitiven Anfängen aus der Technik des Tages
ablöst
, als ein Stück untätigen Wachseins, nicht umgekehrt sie hervorgebracht hat. [Vgl. Bd. II, S. 886f.] Man »weiß«, was man will, aber es muß vieles geschehen sein, um das Wissen zu haben, und man täusche sich nicht über den Charakter dieses »Wissens«. Durch die zahlenmäßige Erfahrung kann der Mensch mit dem Geheimnis schalten, aber er hat es nicht enthüllt. Das Bild des modernen Zauberers: eine Schalttafel mit ihren Hebeln und Bezeichnungen, an welcher
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