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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes
Autoren: Oswald Spengler
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waren alltägliche Finanzmethoden. Waren Überschüsse vorhanden, so wurden sie an die Bürger verteilt, ein Verfahren, dem z. B. Eubulos in Athen seinen Ruf verdankte. [Pöhlmann, Griech. Gesch. (1914), S. 216 f.] Es gab weder einen Etat noch etwas wie Wirtschaftspolitik. Die »Bewirtschaftung« der römischen Provinzen war ein öffentlicher und privater Raubbau, der von Senatoren und Geldleuten betrieben wurde ohne Rücksicht darauf, ob und wie die abgeführten Werte wieder ergänzt werden konnten. Der antike Mensch hat nie an eine planmäßige Steigerung des Wirtschaftslebens gedacht, nur an das augenblickliche Ergebnis, das erreichbare Quantum von barem Geld. Ohne das alte Ägypten wäre das kaiserliche Rom verloren gewesen: hier lag zum Glück eine Zivilisation, die seit einem Jahrtausend an
nichts
gedacht hatte als an die Organisation ihrer Wirtschaft. Der Römer verstand weder diesen Lebensstil noch konnte er ihn nachahmen, [Gercke-Norden, Einl. in die Altertumswissensch. III, S. 291.] aber der Zufall, daß hier eine unerschöpfliche Quelle von Geld für den floß, welcher die politische Macht über diese Fellachenwelt besaß, hat die Erhebung der Proskriptionen zu einer
Sitte
unnötig gemacht. Die letzte dieser Finanzoperationen in Gestalt einer Schlächterei war die vom Jahre 43, kurze Zeit vor der Einverleibung Ägyptens. [Kromayer in Hartmanns Röm. Gesch., S. 150.] Die Goldmasse, welche Brutus und Cassius damals aus Asien heranführten und die ein Heer und damit die Weltherrschaft bedeutete, machte die Ächtung der 2000 reichsten Bewohner Italiens nötig, deren Köpfe um der ausgesetzten Belohnung willen in Säcken auf das Forum geschleppt wurden. Man war nicht mehr in der Lage, die eignen Verwandten, Kinder und Greise, Leute, die sich nie mit Politik befaßt hatten, zu schonen, wenn sie einen Schatz an barem Gelde besaßen. Das Ergebnis wäre zu gering geworden.
    Aber mit dem Hinschwinden des antiken Weltgefühls in der frühen Kaiserzeit erlischt auch diese Art des Denkens in Geld. Die
Geldmünzen werden wieder zu Gütern
, weil der Mensch wieder bäuerlich lebt, [Die Juden dieser Zeit waren die Römer (Bd. II, S. 951 f.). Dagegen sind die Juden damals Bauern, Handwerker, kleine Gewerbetreibende (Parván, Die Nationalität der Kaufleute im röm. Kaiserreich, 1909; ebenso Mommsen, Röm. Gesch. V, S. 471), d. h. sie üben die Berufe aus, welche in gotischer Zeit das
Objekt
ihrer Handelsgeschäfte geworden wären. In derselben Lage befinden sich heute »Europa gegenüber die Russen, deren ganz mystisches Innenleben das Denken in Geld
als Sünde
empfindet. (Der Pilger in Gorkis Nachtasyl und die ganze Gedankenwelt Tolstois, vgl. S. 792, 898.) Hier hegen heute wie in Syrien zur Zeit Jesu zwei Wirtschaftswelten übereinander (S. 788 ff.), eine obere, fremde, zivilisierte, die von Westen eingedrungen ist und zu der als Hefe der ganz abendländische und unrussische Bolschewismus der ersten Jahre gehört, und eine stadtlose, nur unter Gütern lebende in der Tiefe, die nicht rechnet, sondern ihren unmittelbaren Bedarf eintauschen möchte. Man muß die Schlagworte der Oberfläche als eine Stimme auffassen, aus welcher der ganz mit seiner Seele beschäftigte einfache Russe den Willen Gottes heraushört. Der Marxismus unter Russen beruht auf einem inbrünstigen Mißverständnis. Man hat das höhere Wirtschaftsleben des Petrinismus ertragen, aber weder geschaffen noch anerkannt. Der Russe bekämpft das Kapital nicht, sondern er
begreift
es nicht. Wer Dostojewski zu lesen versteht, wird hier eine junge Menschheit ahnen, für die es
noch gar kein Geld gibt
, nur Güter in bezug auf ein Leben, dessen Gewicht
nicht
auf der Wirtschaftsseite liegt. Die »Angst vor dem Mehrwert«, die vor dem Kriege manchen bis zum Selbstmord getrieben hat, ist eine unverstandene literarische Verkleidung der Tatsache, daß der Gelderwerb durch Geld für das stadtlose Güterdenken ein Frevel ist, aus der werdenden russischen Religion heraus gedacht eine
Sünde
. So wie heute die Städte des Zarentums verfallen und der Mensch in ihnen wieder wie im Dorfe lebt, unter der Kruste des städtisch denkenden, rasch hinschwindenden Bolschewismus, so hat er sich von der westlichen Wirtschaft befreit. Der apokalyptische Haß – der auch das einfache Judentum zur Zeit Jesu gegen Rom beherrschte – richtete sich nicht nur gegen Petersburg als Stadt, als Sitz einer politischen Macht westlichen Stils, sondern auch als Mitte eines Denkens in
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