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Der Untergang der islamischen Welt

Der Untergang der islamischen Welt

Titel: Der Untergang der islamischen Welt
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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und Ägypten auf die Türkei, Indonesien und Malaysia ganz erheblich, was zur zunehmenden Rückbesinnung auf den Islam und einer deutlichen Zurücknahme vieler demokratischer Prozesse auch dort führt.
    Besonders in der arabischen Welt muss man sowohl die regionalen als auch die globalen Perspektiven als bedrohlich empfinden. Eine rapide wachsende arme, unterdrückte und wenig gebildete Bevölkerung, zur Neige gehende Erdölvorkommen und drastische klimatische Veränderungen, die große Anbauflächen vernichten, bedrohen die wirtschaftliche Grundlage dieser Länder und verschärfen die bereits vorhandenen regionalen und religiösen Konflikte. Dies kann dazu führen, dass der Staat zunehmend an Einfluss verliert, was zur Privatisierung der Gewalt führen würde. Die Bürgerkriege in Afghanistan, Irak, Algerien, Somalia und im Sudan sind nur ein furchtbarer Anfang dessen. Die geistige und die materielle Erstarrung veranlasst mich zu der Prognose: Die islamischen Staaten werden zerfallen, der Islam wird als eine politische und gesellschaftliche Idee, er wird als Kultur untergehen.

    Vergleicht man die arabisch-islamische Welt heute mit der »Titanic« kurz vor dem Untergang, so stößt man auf Parallelen. Das Schiff steht einsam und gebrochen mitten im eiskalten Ozean der Neuzeit und weiß nicht, woher die Rettung kommen soll. Die Passagiere der dritten Klasse schlafen weiterhin in ihrem Kerker und ahnen noch nichts von der sich anbahnenden Katastrophe. Die Reichen machen sich in den wenigen Rettungsbooten aus dem Staub und wollen sogar an der Misere verdienen, während Geistliche die üblichen Durchhalteparolen wiederholen. Die sogenannten Islamreformer erinnern mich an das Salonorchester, das bis zum Untergang weiterspielte, um den Passagieren die Illusion einer Normalität zu vermitteln. Sie spielen die Reformmelodie und wissen, dass sie sowieso niemand mehr hört.
    Ein wesentlicher Unterschied allerdings fällt ins Auge: Das islamische Schiff war von vorne herein veraltet und voller Löcher, und dennoch galt es für viele Muslime als unsinkbar, weil sie in ihrem Segeln einen göttlichen Auftrag sahen. Das schwere Schiff driftete Jahrhunderte im Meer ohne Kompass und ohne Orientierung. Weil es nicht wusste, wohin es wollte, war kein Wind ihm recht. Kein heftiger Zusammenprall, sondern eine leichte Berührung mit dem Eisberg namens Moderne reichte aus, um das islamische Schiff aus dem Gleichgewicht zu bringen. Erst mit dem Auftauchen des überlegenen »Anderen« sind Muslime auf die eigene Schwäche aufmerksam geworden. Trotzdem verhinderten Stolz und Eigensinn die Erkenntnis, dass eine Veränderung not-wendig ist.
    Die islamische Welt hat meines Erachtens ihr kulturelles und zivilisatorisches Konto überzogen und lebt sträflich über ihre Verhältnisse. Wäre der Islam eine Firma, dann wäre er längst pleitegegangen. Was der Islam nun braucht, ist eine geregelte Insolvenz, eine Inventur, durch die die islamische Welt sich endlich von vielen Bildern trennen muss: Gottesbilder, Gesellschaftsbilder, Frauenbilder, Vor- und Feindbilder.

    Sowohl der britische Orientalist Bernard Lewis als auch der deutsche Orientalist und Historiker Dan Diner sehen das Hauptproblem des Islam in der Natur des Heiligen, das alle Bereiche des Lebens unterwandert. Auch die Natur der arabischen Sprache, die am Text des Korans und seiner Konnotation hänge, erschwere jede Bemühung der Säkularisierung, so Diner. Dies habe die islamische Welt zum jetzigen Stillstand geführt, den er »versiegelte Zeit« nennt. Ähnlich argumentiert der im Exil lebende syrische Dichter Adonis, beschränkt seine These jedoch auf die arabische Welt. Die Tatsache, dass in den arabischen Staaten Kultur nur staatlich bürokratisch betrieben wird, dass die arabische Sprache sich nicht erneuert und dass die arabische Welt aus Mangel an Kreativität der Menschheit nichts mehr zu bieten hat, veranlasst Adonis zur Prognose, dass die Araber bald wie die alten Ägypter, Griechen und Römer Geschichte sein werden.
    Emmanuel Todd und Youssef Courbage erwarten dagegen, dass der Islam sich rasch modernisieren wird. Die beiden Statistiker und Verfasser des Buchs »Die unaufhaltsame Revolution«, das im französischen Original »Le rendez-vous des civilisations« heißt, studierten die Demographie der islamischen Welt und stellten fest, dass es zu immer mehr Alphabetisierung unter jungen muslimischen Männern und Frauen kommt, was wiederum zu einem Rückgang der Geburtenraten
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