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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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Angreifer zunehmend ratlos in dem milchig dunklen Dämmer umherirren. Zudem stellte sich heraus, daß das sowjetische Oberkommando die Unwegsamkeit des schwierigen, von Kanälen, wäßrigen Morasten und Abzugsgräben durchzogenen Geländes, das zu dieser Jahreszeit überdies im Frühjahrshochwasser stand, gänzlich falsch beurteilt hatte. Mannschaftswagen, Zugmaschinen und schweres Gerät aller Art fuhren sich in dem moorigen Terrain fest, rutschten in die Tiefe weg und mußten schließlich aufgegeben werden.
      Am folgenreichsten war jedoch, daß der mit der Taktik russischer Truppenführer vertraute Befehlshaber der Heeresgruppe Weichsel, Generaloberst Gotthard Heinrici, kurz vor Beginn der Schlacht die vorderen Verteidigungsstellungen zurückgenommen hatte, so daß der Feuerschlag überwiegend ins Leere ging. Als daher die gegnerischen Infanterieeinheiten, angeführt und begleitet von massierten Panzeraufgeboten, mit wehenden Fahnen und gellenden Schreien aus den Schwaden hervorgestürmt kamen, warteten die weit schwächeren, aus vielfach aufgeriebenen Verbänden zusammengestellten Verteidiger nur ab, bis sie nah genug heran waren und schössen dann nahezu ziellos in die wimmelnden Schattenhaufen hinein. Gleichzeitig eröffneten Hunderte von Flakgeschützen aus heruntergelassenen Rohren das Feuer, sobald die in dichten Rudeln anrollenden Panzer im diffusen Licht Umriß gewannen. Als der Tag anbrach, war der Ansturm unter schwersten Verlusten für die Angreifer abgeschlagen.
      Dem ersten Fehlgriff ließ Schukow einen zweiten folgen. Enttäuscht und verzweifelt über seinen Mißerfolg, auch bedrängt von einem erkennbar verärgerten Stalin, befahl er in Abänderung des verabredeten Offensivplans, den Einsatz der zwei Panzerarmeen vorzuziehen, die in rückwärtigen Stellungen warteten. Ursprünglich für den Augenblick bereitgestellt, in dem eine größere Bresche in den deutschen Verteidigungsriegel geschlagen war, stießen sie jetzt auf das Schlachtfeld vor und vermehrten das ohnehin herrschende Durcheinander im Rücken der kämpfenden Truppe. Auf den verstopften Straßen drängten sie sich zwischen die orientierungslosen Verbände, hinderten die Artillerie am Stellungswechsel und schnitten die Zufahrtswege für Nachschub und Versorgung ab. Da sie überdies ohne jede Koordination in das Kampfgeschehen eingriffen, richteten sie ein heilloses Chaos an, das bald zur gänzlichen Lähmung der sowjetischen Operationen führte. Einer der Armeeführer Schukows, Generaloberst Wassili I. Tschuikow, notierte am Abend des 16. April, die sowjetischen Verbände hätten ihre Aufträge nicht erfüllt und seien stellenweise »keinen einzigen Schritt« vorwärtsgekommen. Die Absicht, Berlin am fünften Tag nach Eröffnung der Offensive einzunehmen, war gescheitert.
      Im Hauptquartier Hitlers, dem Tiefbunker auf dem Gelände der Reichskanzlei, war der Angriff seit Tagen mit einer Mischung aus Ungeduld, Fieber und narkotischer Ergebung erwartet worden. Bereits die Meldungen von den ersten flüchtigen Abwehrerfolgen hatten noch einmal wirre, alsbald ins Chimärische hochgeredete Siegeshoffnungen aufflackern lassen. Immerhin ordnete Hitler an, das Regierungsviertel und vor allem das Gelände um die Reichskanzlei zur Verteidigung bereitzumachen, Panzerabwehrgeschütze sowie Granatwerfer in Aufstellung zu bringen und überall Schießscharten vorzusehen. Am Nachmittag gab er einen »Tagesbefehl an die Kämpfer der Ostfront« aus, der die Ausrottungswut des »jüdischbolschewistischen Todfeindes« beschwor und der Gewißheit Ausdruck gab, daß der Ansturm Asiens auch »dieses Mal … vor der Hauptstadt des Deutschen Reiches verbluten« werde. »Ihr Soldaten aus dem Osten wißt«, hieß es weiter, »welches Schicksal vor allem den deutschen Frauen und Kindern droht. Während die Alten, Männer und Kinder ermordet werden, werden Frauen und Mädchen zu Kasernenhuren erniedrigt. Der Rest marschiert nach Sibirien.«
      Bereits im Verlauf ihrer Januar-Offensive hatte die Rote Armee die Oder erreicht und bei Küstrin, einige dreißig Kilometer nördlich von Frankfurt, an mehreren Stellen den Fluß überquert. Im Fortgang der Kämpfe war es ihr gelungen, einen annähernd vierzig Kilometer langen und streckenweise bis zu zehn Kilometer tiefen Brückenkopf zu bilden, der die gesamte »Nibelungenstellung« bis hin zur Neiße gefährdete. Erst Anfang März hatte die deutsche Seite daraufhin begonnen, in und um Berlin Gräben auszuheben sowie
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