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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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plazierte Gerüchte die Aufgaben der Stimmungssteigerung. Die Erfolge der Alliierten, hieß es einmal aus angeblich »zuverlässiger Quelle«, seien nichts als eine Kriegslist des Führers, der die Gegner absichtsvoll so weit wie möglich ins Land gelockt habe, um sie im letzten Augenblick um so wirksamer »mit Mann und Roß und Wagen« zu vernichten. Oder es wurden Hinweise gestreut, daß General Krebs Verbindung mit den Russen aufgenommen und den sowjetischen Diktator an seine Zeit als deutscher Militärattache in Moskau erinnert habe, als er von ihm öffentlich umarmt und sogar geküßt worden sei, woraufhin Stalin »bewegt« geantwortet und den Geist der »Waffenbrüderschaft« von einst beschworen habe. Dann wiederum machte die Auffassung eines angeblich »sachverständigen Militärs «die Runde, wonach sich der jahrelang mit so viel ohnmächtiger Verzweiflung hingenommene Bombenkrieg in dieser Stunde der Entscheidung als Glück und Chance darbiete, weil er Berlin geradezu auf seine »Nahkampfrolle« vorbereitet habe; im Häuserkampf sei der Verteidiger, wie die Militärgeschichte aller Zeiten beweise, dem Angreifer durchweg überlegen. Auch von Unterseebooten mit »stratosphärischen Geschossen« war die Rede, die New York in Grund und Boden schießen würden, sowie von »Eisgranaten« mit alles verätzenden Nebeln. Die Bevölkerung begegnete dem bizarren Gerede mit wachsender, nicht selten schneidender Skepsis. Die Propaganda, lautete eine verbreitete Redensart, sei wie die Bordkapelle auf einem sinkenden Schiff, das noch unterm Sog in die Tiefe aufmunternde Weisen spiele weil alles andere Notenmaterial der Bewirtschaftung unterliege.
      Die wirkliche Lage und die herrschende Stimmung beschrieben weit genauer die motorisierten Feldgerichte, die unterdessen durch die Straßen jagten und Wohnungen, Betriebe sowie Ruinenfelder unablässig nach Deserteuren absuchten. Wo immer der geringste Verdacht aufkam, erschossen oder erhängten sie die »Verräter« auf der Stelle. Am 15. Februar
    1945 waren auf Befehl Hitlers zudem Sondergerichte mit der Zuständigkeit für alle Straftaten gebildet worden, »die die deutsche Kampfkraft oder Kampfentschlossenheit gefährdeten« und aus einem Strafrichter, einem Vertreter der Partei sowie einem Offizier der Wehrmacht oder Waffen-SS bestanden. Zehn Tage später hatte Himmler ein zusätzliches Korps von »Sonderstandgerichten« aufgestellt, und wiederum kurze Zeit darauf, am 9. März, war ein »Fliegendes Standgericht« unter Generalleutnant Rudolf Hübner eingesetzt worden, das seine Anweisungen von Hitler persönlich erhielt. Es schien, als sei ein Rest von Zuversicht nur noch mit Hilfe von Strafandrohungen aufrechtzuerhalten.
      Die Informanten des Sicherheitsdienstes meldeten denn auch Mitte April, daß das Vertrauen breitester Kreise in die Führung »lawinenartig« wegrutsche. Immer mehr Amtswalter, mußte Goebbels ärgerlich vermerken, verschwänden einfach und »lösten sich in Luft auf«, die Partei habe »ziemlich ausgespielt«. Um so empörter nahmen die Menschen wahr, daß seit Mitte März in manchen Stadtbezirken Dutzende von Hingerichteten an Bäumen, Laternenmasten und mitunter auch, zur verstärkten Abschreckung, an Barrikaden und Panzersperren hingen. Genauere Zahlen gibt es begreiflicherweise nicht. Umsichtige Schätzungen sprechen von annähernd tausend Exekutierten im Verlauf der letzten drei Monate. Einige Kommandeure waren über das wilde Treiben so empört, daß sie, wie der Generalmajor Hans Mummert, Befehlshaber der Panzerdivision »Müncheberg«, ihre Truppe anwiesen, den Sondergerichten notfalls mit der gezogenen Waffe entgegenzutreten.
      Die Niederlage war erkennbar besiegelt, und was weiterging, war ein Krieg über das Ende hinaus. Weitab irrlichterten abwegige Hoffnungen. Die Lage erinnere sie an die »Götterdämmerung« aus der »Edda«, schrieb Gerda Bormann, die Frau Martin Bormanns, an ihren Mann: »Die Riesen und die Zwerge, der Fenriswolf und die Mitgardschlange, alle die Mächte des Bösen … stürmen über die Brücke der Götter … Die Burg der Götter wankt, und alles scheint verloren. Doch dann erhebt sich plötzlich eine neue Burg, schöner als je zuvor, und Baldur lebt wieder.« Es war einer der vertrauten Fluchtwege, weg von der Wirklichkeit in die mythischen Gemeinplätze, den sie einschlug. Sie endeten aber bald. An den Ruinenkulissen ausgebrannter Städte, den Flüchtlingstrecks auf den Straßen und dem wachsenden Chaos
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