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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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wurde nun zusehends einsamer um ihn. Das eine oder andere Mal beobachtete einer der Bunkerbewohner, wie er sich die schmale Treppe zum Gartenausgang des Baus hinaufmühte, doch auf halber Strecke überanstrengt kehrtmachte und, wie des öfteren, zum Waschraum neben dem Mittelkorridor hinüberging, in dem sich der Verschlag für die Hunde befand. Lange und mit seltsam entleertem Ausdruck habe er dort mit seiner Schäferhündin und den fünf Welpen gespielt, die sie Anfang April geworfen hatte.
      Draußen, jenseits der meterdicken Betonmauern, herrschte die Willkür des in Erschöpfung, Not und Vergeltungsangst endenden Krieges. Seiner Wirklichkeit mitsamt den immerwährenden Todesschrecken wurde keine der klirrenden Phrasen mehr gerecht, die der Propagandaapparat des Regimes unablässig auswarf. Zwar taten die Requisiten aus dem Fundus von Glauben, Ehre, Treue bei einer Minderheit noch immer ihre Wirkung. Aber der breiten Masse war das Pathos solcher Formeln längst nicht mehr geheuer. Wer immer seine Sinne bewahrt oder angesichts des nahenden Endes zurückgewonnen hatte, wollte nichts mehr wissen von Durchhalteparolen und Bollwerkzitaten, in denen sich das Reich zum einsamen Helden gegen die neue apokalyptische Reiterei aus Weltjudentum, Bolschewismus und Plutokratie erhoben sah, das Glück oder die Ehre des verlorenen Postens beschworen und noch einmal jene idealisierte Lebensverachtung gefeiert wurde, die in der Vergangenheit so viel dunkle Anziehungskraft auf das deutsche Gemüt geübt hatte. Die auf allen Seiten brechenden Fronten, die Unzulänglichkeit der Verteidigungsmittel sowie das nicht endende Alltagsgrauen machten den hohlen Ton unüberhörbar, der solchen Verlautbarungen eigen war. »Rache unsere Tugend! Haß unsere Pflicht!« hieß es in einem dieser Verteidigungsappelle. »Tapfer und treu, stolz und trotzig werden wir unsere Festungen in Massengräber der Sowjethorden verwandeln… Wir wissen mit Euch, daß die Stunde vor Sonnenaufgang immer die dunkelste ist. Daran denkt, wenn Euch das Blut beim Kampfe in die Augen rinnt und Finsternis um Euch wird. Was auch immer komme, der Sieg wird unser sein. Tod den Bolschewisten! Es lebe der Führer!«
      Seit Hitler bald nach Beginn der sowjetischen Großoffensive befohlen hatte, alle verfügbaren Kräfte nach Osten zu werfen und Berlin an der Oder zu verteidigen, gab es vor und in der Stadt kaum noch erfahrene und zureichend ausgerüstete Truppen. Der Kampfkommandant der bereits am 1. Februar zur Festung erklärten Stadt, Generalleutnant Hellmuth Reymann, wiederholte ein ums andere Mal, er benötige mindestens Zweihunderttausend kampferprobte Soldaten. Statt dessen verfügte er über nicht einmal die Hälfte davon, zusammengewürfelt aus den Resten eines Panzerkorps, dem Wachregiment, einigen Zufallseinheiten verschiedener Waffengattungen sowie rund vierzig Volkssturmbataillonen, die überwiegend aus Pensionären und an die viertausend halbwüchsigen Hitlerjungen bestanden. Hinzu kamen einige Pioniereinheiten sowie die im Stadtbereich eingesetzten Flakmannschaften, während die in Berlin zusammengezogenen SS- und Polizei-Einheiten nicht seinem Kommando unterstanden. Alle Forderungen Reymanns nach Verstärkung beschied Hitler mit dem Hinweis, daß hinreichend Truppen, Panzer und Munition zur Verfügung stünden, falls es zu einer Schlacht um Berlin kommen sollte.

    Das letzte Aufgebot: ein Fünfzehnjähriger und ein älterer Soldat, die in den
Straßen Berlins den Angriff der übermächtigen sowjetischen Eliteverbände
aufhalten sollten.
    Schwerer wog, daß zu keinem Zeitpunkt ein abgestimmter
    Verteidigungsplan bestand. Was langen und erprobten Zusammenwirkens bedurft hätte, mußte von Fall zu Fall hastig improvisiert werden. Zudem sah sich Reymann unausgesetzt in Streitigkeiten über die Befehlsbefugnisse verstrickt. Mal kamen die Anweisungen vom Oberkommando der Wehrmacht unter Generalfeldmarschall Keitel, dann wieder von Generalstabschef Krebs sowie zeitweilig auch von Heinrici. Zu allem hin unterbrach Hitler ständig und mit vielfach launenhaften Eingebungen die Befehlskette, so daß der Kommandeur des Verteidigungsbereichs Berlin niemals völlige Klarheit darüber besaß, woran er war.
      Das organisatorische Chaos wurde noch durch Goebbels verstärkt, der als Gauleiter von Berlin zugleich das Amt eines Reichsverteidigungskommissars innehatte. Seit er als Anwalt des »totalen Krieges« Mal um Mal an den zahllosen Widerständen von allen Seiten
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