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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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verfärbten Tränensäcken traten immer unübersehbarer hervor. Tiefgebeugt, mit merkwürdig schlingernden Bewegungen und wie Halt suchend bewegte er sich dicht an den Bunkerwänden entlang, und manche schärferen Beobachter hatten den Eindruck einer um des Effektes willen dramatisch hervorgekehrten Hinfälligkeit. Erstmals offenbarte er auch Spuren von Verwahrlosung. Seine bis dahin immer peinlich korrekte Kleidung war mit Essensflecken bedeckt, an den Mundwinkeln hingen Kuchenkrümel, und sooft er beim Lagevortrag seine Brille in die linke Hand nahm, schlug sie leise klirrend gegen die Tischplatte. Mitunter legte er sie dann wie ertappt beiseite, weil das Gliederzittern seiner Auffassung widersprach, daß ein entschlossener Wille alles vermöge. »Wenn auch meine Hand zittert«, hatte er einer Abordnung Alter Kämpfer versichert, »und wenn selbst mein Kopf zittern sollte, mein Herz wird niemals zittern.« Ein Generalstabsoffizier hat Hitlers Erscheinung während dieser Wochen mit den Worten beschrieben:

    Plan des sogenannten Vorbunkers und des etwas tiefer gelegenen Führerbunkers im Garten der Reichskanzlei.

    »Er wußte, daß er verspielt hatte und nicht mehr die Kraft besaß, das zu verheimlichen. Er bot körperlich ein furchtbares Bild. Er schleppte sich mühsam und schwerfällig, den Oberkörper vorwärts werfend, die Beine nachziehend, von seinem Wohnraum in den Besprechungsraum des Bunkers. Ihm fehlte das Gleichgewichtsgefühl; wurde er auf dem kurzen Weg (zwanzig bis dreißig Meter) aufgehalten, mußte er sich auf eine der hierfür an beiden Wänden bereitstehenden Bänke setzen oder sich an seinem Gesprächspartner festhalten … Die Augen waren blutunterlaufen; obgleich alle für ihn bestimmten Schriftstücke mit dreimal vergrößerten Buchstaben auf besonderen ›Führerschreibmaschinen‹ geschrieben waren, konnte er sie nur mit einer scharfen Brille lesen. Aus den Mundwinkeln troff häufig der Speichel …«
      Auch geistig verfiel Hitler, wie manche wahrzunehmen meinten, mit nahezu jedem Tag. Wenn er meist gegen sechs Uhr morgens von der nächtlichen Lagebesprechung zurückkehrte, sank er auf das Sofa, um einer seiner Sekretärinnen die Anweisungen für den folgenden Tag zu diktieren. Sobald sie den Raum betrat, erhob er sich schwerfällig, hat eine von ihnen berichtet, »und ließ sich dann erschöpft wieder auf dem Sofa nieder, wobei ihm der Diener die Füße hochbettete. Völlig apathisch lag er da, erfüllt nur von dem Gedanken: … Schokolade und Kuchen. Sein Heißhunger auf Kuchen war geradezu krankhaft geworden. Während er früher höchstens drei Stücke Kuchen aß, ließ er sich jetzt den Teller dreimal hochgefüllt reichen.« Und eine andere Sekretärin hat die oftmals auffällige Monotonie seiner Äußerungen beklagt: »Er, der früher über alle Themen leidenschaftlich gesprochen hatte, sprach in den letzten Wochen nur noch über Hunde und Hundedressur, Ernährungsfragen und die Dummheit und Schlechtigkeit der Welt.«
      Nur vor Besuchern fand er aus den Verdüsterungen des Gefühls heraus und gewann dann seine suggestive Macht und Überredungsgewalt zurück. Oft nutzte er eine Erinnerung, den Namen eines bewährten Truppenführers oder eine andere klangvolle Unerheblichkeit, um sich und dem Gast neuen Mut zu machen, und phantasierte sich aus beiläufigen Stichworten gewaltig wachsende Streitmächten zusammen, die schon auf dem Weg waren, um vor den Toren der Hauptstadt zur kriegsentscheidenden Schlacht anzutreten. Die Russen kämpften ohnehin nur mit »Beutesoldaten«, ließ er sich dann vernehmen, ihre behauptete Überlegenheit sei »der größte Bluff seit Dschingis-Khan«, und kam Mal um Mal auf die »Wunderwaffen« zurück, die die Wende bringen und alle Kleinmütigen beschämen würden.
      Trotz seiner rasch voranschreitenden Entkräftung gab Hitler die Führung der Operationen auch jetzt nicht aus der Hand. Eine Mischung von Sendungsbewußtsein und Willensanspannung trieb ihn immer wieder hoch, bestärkt noch von einem fressenden Mißtrauen, das ihn vermuten ließ, seine Generale wollten ihn bloßstellen oder sogar durch seinen Leibarzt Dr. Morell einschläfern und aus Berlin fortschaffen lassen. Obwohl er sich im ganzen in der Gewalt hatte, brach mitunter der Zorn aus ihm heraus, und einmal hatte er wutschnaubend, mit erhobenen Fäusten und am ganzen Leibe zitternd, vor seinem Generalstabschef Guderian gestanden, den er in den letzten Märztagen denn auch entließ.
      Es
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