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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige
Autoren: Jane Casey
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Blumenmuster und sahen aus, als ob sie dort schon seit Jahrzehnten ungewaschen hingen. Die Bewegung dahinter und ein gelegentlich aufleuchtendes Blitzlicht deuteten darauf hin, dass die Spurensicherung schon bei der Arbeit war.
    Direkt vor dem Haus stand ein schwarzer Transporter mit der Aufschrift AMBULANCE bereit, um die Leiche fortzubringen, sobald Dr. Hanshaw seine vorläufige Untersuchung am Tatort abgeschlossen und Derwent seine Zustimmung zum Abtransport ins Leichenschauhaus gegeben hatte. Vor diesen Leichenwagen gruselte es mich immer wieder. Ich ging schnell daran vorbei und hielt die Luft an, nur für den Fall, dass ein Hauch von Verwesung davon ausging. Zwar wusste ich, dass sie peinlich sauber gehalten wurden, aber mir war einfach zu gegenwärtig, was darin regelmäßig transportiert wurde und was uns im Innern des Hauses erwartete. Ich dürfte eigentlich nicht so zimperlich sein, schließlich gehörte ich genauso zum Geschäft mit dem Tod wie jeder beliebige Leichenbestatter. Aber wenigstens blieb mir der praktische Teil dieser Arbeit erspart.
    Ich sah mich ein letztes Mal um und steuerte dann auf Derwent zu, der schon mit hämischer Miene auf mich wartete. Er hielt das Absperrband hoch, damit ich darunter hindurchtauchen konnte. An sich eine schlichte Geste der Aufmerksamkeit, die mir aber unangenehm war. Ich brauchte seine Hilfe nicht, doch sie zurückzuweisen, hätte kleinkariert gewirkt. Andererseits hätte eine entschlossene Abfuhr vielleicht seiner ganzen Herzblatt- und Schätzchen-Nummer ein Ende gesetzt.
    » Sind Sie bereit, mit reinzukommen? Oder wollen Sie sich noch ein bisschen weiter umsehen? «
    » Ich wollte mir nur einen Eindruck von der Örtlichkeit verschaffen « , sagte ich und vermied es, so zu klingen, als fühlte ich mich irgendwie angegriffen.
    » Wusste ich’s doch, dass Sie es kaum abwarten können, endlich die Leiche zu sehen. «
    Er schnüffelte. » Stinkt vermutlich noch nicht, obwohl es heute ziemlich warm war. Aber das Haus wirkt von hier aus ganz schön versifft. Ich wette, da drin sieht es saftig aus. «
    In einem kleinen Stoßgebet dankte ich dafür, dass ich mit einem großen Bruder zusammen aufgewachsen war, der mich ständig ärgern musste. Wahrscheinlich war das gerade die Stelle, an der ich in mädchenhaftem Entsetzen aufkreischen sollte. Aber Derwent konnte es gerne den lieben langen Tag darauf anlegen– diese Sorte Reaktion war von mir nicht zu haben. Stattdessen grinste ich, als hätte der DI einen unglaublich originellen Witz gerissen, und folgte ihm in das blaue Zelt. Sich wegen des Papier-Overalls und der Papier-Überschuhe aufzuregen, lohnte sich nicht, obwohl mir sehr wohl bewusst war, dass ich albern darin aussah– und es tröstete mich nicht im Geringsten, dass ich nicht die Einzige in diesem Aufzug war.
    Jemand hatte die Eingangstür angelehnt, und während ich sie betrachtete, versuchte ich mir vorzustellen, wie diese Tür an einem ganz gewöhnlichen Tag auf einen gewöhnlichen Passanten gewirkt hätte. Die dunkelbraune Farbe war abgeblättert. Über dem Briefschlitz hatte jemand das Wort PÄDO tief ins Holz geritzt. Die Buchstaben waren grob und ungelenk, aber gut erkennbar. Es musste eine Weile gedauert haben, sie so hinzubekommen. Ich hätte gern gewusst, wie es sich angefühlt hatte, im Hausflur zu stehen und zuzuhören, wie jemand diese vier unförmigen Buchstaben einritzte, die allen klarmachten, was es mit dem, der gemeint war, auf sich hatte. Sicher hatte er Angst gehabt, den Schnitzer davon abzuhalten. Wahrscheinlich hatte er in ständiger Angst gelebt.
    Und das aus gutem Grund, wie es schien, denn schon der Hausflur wirkte wie der Eingang zu einem Albtraum. Das Deckenlicht war eingeschaltet– eine grellweiße Glühlampe hing unter einem erstaunlich filigran geflochtenen Lampenschirm–, und das erbarmungslose Licht machte die Spuren der vergangenen Ereignisse sichtbar. Die Wände waren in einem stilisierten Blumenmuster in Hellbraun und Beige tapeziert; das Dekor musste noch aus den 1970ern stammen. Der Sockel war grau von aufsteigender Nässe. An mehreren Stellen hatte sich die Tapete von der Wand gelöst, und Feuchtigkeit hatte sie aufgeweicht. Doch ansonsten– von einigen Kratzern abgesehen– war sie verhältnismäßig gut erhalten. Zumindest, bis jemand etwas Blutbeschmiertes den Flur entlanggeschleift hatte. Die rötlich braune Spur auf halber Wandhöhe war an den Rändern ausgefranst. Blutgetränktes Haar erzeugt diesen Effekt, wie
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